Die 250. Montagsdemo gegen S21 – es war ein Großereignis. Die Medien berichteten entsprechend zahlreich und gern. Jubiläen sind beliebt, da sind die Reporter vor Ort. Das gibt gute Bilder und Interviews von fröhlichen, entschlossenen Menschen, die niemals aufgeben werden, gegen Stuttgart 21 zu demonstrieren.
Es ist zwar dieser Protest auf der Straße, der einmal in der Woche Autofahrer und Shopper stört, doch eben diese „Störenfriede“ muss eine Bevölkerung und muss eine Stadtverwaltung ertragen können, wenn sie in einer lebendigen Demokratie leben will. Der Artikel 8 des Grundgesetzes - „Versammlungsfreiheit“ -gefällt in einer pluralistischen Gesellschaft nicht jedem, da er – hier in Bezug auf S21 - den reibungslosen Ablauf der Mobilität von Bürgern und Baustellenverkehr stört, zeitweilig auch stoppt. Doch gehört dieser Artikel 8 des GG zu dem “Herz“ der Verfassung und steht an vorderer Stelle im Grundgesetz, sozusagen als Motor für das soziale und politische Zusammenleben der Menschen.
Auch die S21-Gegner, die fast täglich an der Schillerstraße mit Bannern gegen S21 protestieren und die Demonstranten, die dienstags beim „Frühstück am Bauzaun“ vor dem ehemaligen Südflügel stehen, berufen sich auf Artikel 8 des Grundgesetzes. Jahrelang war in der Polizeiführung und vor Gericht strittig, ob es sich bei Versammlungen vor Baustellen um Verhinderungsblockaden oder eine Versammlung nach Art. 8 GG handelt. Hier hatten der Rahmenbefehl – der immer noch besteht - und die rigide Einflussnahme von OStA Häussler einen widerrechtlichen Einfluss ausgeübt.
Seit Mitte Juni 2014 steht nun fest, dass das „Frühstück am Bauzaun“ am Dienstagmorgen eine Versammlung nach Art. 8 GG ist. Das Verwaltungsgericht Stuttgart erklärte dazu am 13. Juni 2014, dass das von der Polizei bislang als Verhinderungsblockade angesehene Blockadefrühstück … in erster Linie dem Protest gegen das Milliardenprojekt und damit der Erregung öffentlicher Aufmerksamkeit diene. Damit handle es sich bei dieser Aktion um eine Versammlung, die unter die verfassungsrechtlich geschützte Versammlungsfreiheit falle. „Maßnahmen aufgrund des allgemeinen Polizeirechts – wie die Platzverweise – waren erst nach ausdrücklicher Auflösung der Versammlung zulässig,“ hieß es in der Begründung der Entscheidung, die sich auf ein Blockadefrühstück aus dem Jahr 2011 bezog, nach dem zwei S21-Gegner gegen ihren Platzverweis geklagt hatten.
Ohne Frage bedeutet dieses Urteil einen großen Fortschritt in der polizeilichen Wahrnehmung der Dienstagsversammlungen und für die gerichtliche Beurteilung. Es bedeutet auch ein großes Maß an Sicherheit für die Menschen am Baustellentor, die ein berechtigtes Anliegen haben, das sich u a. auf Menschenrechte, Erhaltung von Natur und Stadtklima und eine lebenswerte Umwelt bezieht, gemäß Artikel 20 a Grundgesetz: „Der Staat schützt auch in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen .... durch die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung.“ Dass diese Forderungen inzwischen auch von einigen Polizisten und Richtern gewürdigt werden, ist festzustellen.
Warum demonstrieren auch im fünften Jahr Menschen immer wieder am Dienstagmorgen am Bautor, stellen sich den Lastwagen in den Weg, halten ihre Banner hoch, diskutieren mit Polizisten, Passanten und LKW-Fahrern? Warum sind sie unermüdlich dabei, ungebrochen und zudem zuversichtlich, dass Stuttgart21 eines Tages gestoppt wird? „Ich stehe hier, weil ich gar nicht anders kann“, sagte am Dienstag eine S21-Gegnerin. Poetischer, aber auch dezidierter und ganz im Sinne aller Dienstagsdemonstranten, hat es der Dichter Heinrich Heine (1797 - 1856) schon vor 200 Jahren ausgedrückt: „Wir ergreifen keine Idee, sondern die Idee ergreift uns und knechtet uns und peitscht uns in die Arena hinein, dass wir wie gezwungene Gladiatoren für sie kämpfen“.
Nun, als Gladiatoren fühlen sich die Dienstagsdemonstranten sicher nicht, aber dass sie den Kampf gegen S21 genau an der Stelle, wo die Stadtzerstörung ihren Anfang nahm - am Bahnhof, an der Brache des Mittleren Schlossgartens, an einer der ersten Baustellen -, sichtbar machen wollen, das ist ihr Anliegen. Wo, wenn nicht hier? In und um Stuttgart wird an vielen Stellen Bautätigkeit produziert, Aktionismus pur. Das erschreckt viele („Zerstörung allerorten“), frustriert („diese Stadt ist nicht mehr lebenswert“), entmutig („so viele Baustellen, da kann man nichts mehr machen“). Resigniert werfen nicht wenige das Handtuch ( „der Zug ist abgefahren“).
Man muss ziemlich resistent sein, um Stadt- und Naturzerstörung ohne Trauer und Zorn hinzunehmen. Und man muss ein großes Durchhaltevermögen haben, um immer noch, unermüdlich und ungebrochen, am Dienstagmorgen am Baustellentor zu stehen. „Ich stehe jetzt erst recht hier,“ sagte einer am letzten Dienstag, „weil doch jetzt erst so richtig die ganze Brutalität des Projekts sichtbar wird. Wir erfahren täglich, welche Auswirkungen die Baustellen auf unser Leben haben. Jetzt muss doch der Zorn besonders wachsen, jeden Tag mehr, denn jeden Tag werden wir mehr konfrontiert mit der Dreistigkeit der Projektbetreiber.“ - „Aber die Volksabstimmung hat doch …“, warf ein Polizist ein. Man hätte – wieder einmal - heulen mögen. Dass diese VA mit Lügen und Betrug zustande gekommen ist … keiner will es hören, keine Justiz nimmt sich dieses Themas an.
Während die Montagsdemos gegen S21 gezählt und nummeriert werden und man genau wusste, wann denn das Jubiläum der 250. zu feiern sei, ist das mit den Demonstrationen - den Blockaden - am Baustellentor nicht so einfach. Viele S21-Gegner erinnern sich an die fast schon legendären Blockaden am Nordflügel, dann am GWM und später am Technikgebäude am ehem. Nordflügel, die zeitweise täglich stattfanden, sich dann auf den Dienstag beschränkten. Immerhin das. Wie viele sind es inzwischen? Viele jedenfalls, weit mehr als 250. Eines Tages, wenn wieder mehr Zeit ist, wird man es in den Dokumentationen nachzählen. Bis das geschieht, wird die Baustellenblockade am letzten Dienstag, wenige Stunden nach der 250. Montagsdemo, die x-te Blockade gewesen sein.
Am Morgen des Dienstag, 9. Dezember, versammelten sich also etwa 30 S21-Gegner vor dem Bautor am ehemaligen Südflügel zur x-ten Blockade, um sich gemeinsam mit Kaffee, Punsch, Kuchen und Torte im Zorn, aber doch zuversichtlich, der Baustellentätigkeit in den Weg zu stellen. Mit Bannern, in Diskussionen und Ansprachen wurden die aktuellen Ereignisse rund um S21 thematisiert: der eingestellte Wasserwerferprozess, die schleichende Stadt- und Naturzerstörung zugunsten von Shoppingcentern, Bürogebäuden, Logistik- und Werbeflächen, die Feinstaubbelastung in der „am meisten belasteten Stadt der BRD“. Gründe genug gibt es, genau an dieser Stelle und damit auch symbolisch für alle anderen Baustellen von S21 zu stehen.
Als auch das zweite Baustellentor – in Richtung Wolframstraße – von Demonstranten blockiert war und weder leere LKWs rein noch die mit Aushub beladenen aus dem Baustellengelände rausfahren konnten, wies die Polizei den Menschen eine alternative Versammlungsfläche zu und löste die Versammlung mit Durchsagen auf. Diejenigen Demonstranten, die dennoch vor dem Tor mit ihrem Banner stehenblieben, mussten ihre Personalien angeben und erhielten einen Platzverweis. „Sie können uns nicht einschüchtern“, erklärte einer von ihnen, „die Projektbetreiber sind im Unrecht. Hier wird ein Verbrechen an der Lebensgrundlage der Bevölkerung begangen. Warum ermittelt die Staatsanwaltschaft nicht gegen die Projektbetreiber, es gibt so viele Gründe, es gibt Anzeigen, warum wird die Staatsanwaltschaft nicht tätig?“ - Schulterzucken des Polizisten. „Lasst doch den armen Mann in Ruhe, der tut nur seinen Job,“ meinte eine Demonstrantin im Hinblick auf den Uniformierten.
Ja, man dreht sich im Kreis. Aber wie entstehen Kreise? Auch, indem man einen Stein ins Wasser wirft. Dann schaut man den konzentrischen Kreisen nach … und wirft den nächsten Stein. Wieder gibt es Kreise ... Wellen .... Und so ist es mit dem wöchentlichen Dienstagsfrühstück am Bauzaun: immer wieder, unermüdlich; Wellen erzeugend, Bewegung erzeugend; Bewusstsein schärfend; und vom Willen getrieben, nicht nachzulassen. Nach Heinrich Heine: „Die Idee ergreift uns …“. Sie erzeugt Wellen, wenn wir nur weiterdemonstrieren, protestieren und auch dienstags am Bautor stehen, dort, wo die Bewegung gegen S21 hingehört, an den Ort des Geschehens. Symbolisch, realistisch.
(Text und Fotos: Petra B.)
Ich hatte es nicht anders erwartet von Herrn Kuhn, daß er sich wie unser angeblicher Landesvater Herr Kretschmann genauso hinter der manipulierten „Volksabstimmung versteckt!!!“
Die neuste Umfrage: Wer ist für S21/wer dagegen? Wen hat man überhaupt gefragt – das möchte ich gerne mal wissen. Jeden einzelnen von uns ganz bestimmt nicht.
Anm. der Red: Vermutlich sollte dieser Kommentar HIER landen