Rede von Martin Klumpp bei der 273. Montagsdemo

Martin Klumpp, Prälat der Evangelischen Landeskirche i. R ©weibergMartin Klumpp, Prälat der Evangelischen Landeskirche i. R., auf der 273. Montagsdemo am 1.6.2015

Aus Stuttgart 21 klug werden: Oben bleiben!

Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger, Freunde des Stuttgarter Bahnhofs oben!

In dieser Woche ist Kirchentag. Ich stehe hier, um Euch einzuladen auf kommenden Samstag, 14 Uhr vor dem Bahnhof zur Großdemo. Demonstration heißt: Wir setzen ein Zeichen gegen die Verwüstung unserer Stadt, so laut, so klar und in so großen Zahlen, dass alle, die aus ganz Deutschland jetzt nach Stuttgart kommen, verstehen, was wir meinen.

Dieses Zeichen muss besonders deutlich ausfallen, weil die Organisatoren des Kirchentags unser Anliegen nicht in ihr offizielles Programm aufgenommen haben. Das finde ich bedauerlich und nicht klug. Kirchentag ist nicht nur Halleluja-Fest. Er soll ein Forum sein, auf dem Probleme, Fehlentwicklungen, Konflikte offen angesprochen werden. Deshalb passt unsere Demo voll und ganz zum Kirchentag!

Meinen die vom Kirchentag, der Streit um Stuttgart 21 sei nur eine Provinzposse von uns Schwaben? Vielleicht stimmt das sogar ein bisschen, die wirklichen Großstädte in Deutschland – Frankfurt und München – haben den Kellerbahnhof rundweg abgelehnt!

Oder haben sich die Programmplaner des Kirchentags von denen beraten lassen, die meinen, das Thema sei zu wenig vornehm für die Kirche? Viele, die in der Kirche leitend tätig sind, wollen vor allem eines: Immer nett erscheinen. Dahinter steht vielleicht die Furcht, es könnten welche austreten, wenn profilierte und kritische Äußerungen aus der Kirche kämen. Man macht sich mit diesem Immer-Nett-Sein selbst belanglos, schweigt und sagt, man sei neutral.

Wer nur neutral ist, fördert das, was Mächtige beschließen.

Wenn ein solcher Riss durch die ganze Bevölkerung geht, wenn eine Stadt so aufgewühlt ist, dann müsste die Kirche ein Ort sein, an dem das alles offen ausgesprochen und diskutiert wird. Das bringt mehr Frieden als das Schweigen.

Auch dann , wenn man der Meinung ist, das Reich Gottes hänge nicht am Stuttgarter Bahnhof, hätte die Kirche deutlich Stellung nehmen müssen zu all den Ungereimtheiten, zu unlauteren Methoden, zur massenhaften Umgehung geltender Vorschriften, zur Gewalt, die angewendet wurde.

Die Kirche stellt sich nicht über den Staat. Aber sie meldet sich deutlich zu Wort, wenn der Staat sei-ne eigenen Spielregeln außer Kraft setzt. Die Kirche darf auch fragen, ob ein Projekt, das die Bevölke-rung so aufwühlt und spaltet und von so vielen Experten mit fachlichen, sachlichen Gründen abge-lehnt wird, gut für diese Stadt sein kann. In Demokratien werden für viele sehr weitreichende Ent-scheidungen mehr als eine knappe Mehrheit verlangt.

Wenn ein Pfarrer oder eine Pfarrerin in ihrer Gemeinde eine solche Entzweiung anrichten würde, dann würde die Kirchenleitung ihn auffordern, woanders hinzugehen, weil eine gedeihliche Zu-sammenarbeit nicht mehr möglich sei.

Liebe Freundinnen und Freunde, als ich zum ersten Mal am Bahnhof sprach, verglich ich dieses Pro-jekt Stuttgart 21 mit dem Turmbau zu Babel. Da wurde ich von manchen, die meinten, der Theologe habe hier zu schweigen, gerügt, das sei ein Missbrauch der Bibel. Drum las ich noch einmal, was in dieser Geschichte steht und was der größte Theologe der Moderne, Karl Barth, dazu geschrieben hat.

Am Anfang schuf Gott die ganze Menschheit als eine zusammengehörige Gemeinschaft auf der gan-zen Erde. Und dann gab es welche, die verliebten sich in das, was sie für Fortschritt hielten. Das wa-ren damals das Brennen von Ziegeln und die Herstellung von zementartigem Mörtel. Sie waren von sich selbst so begeistert, dass sie sich einen Namen machen wollten über alle anderen Völker und einen Turm erbauen, der alle und alles überflügelt.

Karl Barth sagt dazu: Fortschritt ist keine Sünde, einen großen Turm, einen neuen Bahnhof oder eine Stadt bauen auch nicht. Aber das sich Verlieben in sich selbst, geboren aus der Angst, man sei nicht groß genug, die Blindheit für den eigenen Hochmut und die Selbsterhöhung, die Freude am Giganti-schen – das ist Sünde, die von Gott bestraft wird. Der Theologe unterstreicht, was im Text steht: Gott kommt herab und belegt sie mit einer Strafe: Sie werden süchtig nach immer größer, immer höher. Sie werden blind für das Hässliche, das sie anrichten. Sie können nicht mehr kritisch denken und nicht mehr nüchtern kalkulieren. Jeder, der Bedenken hat, wird für sie zum Störer, den man auf die Seite schiebt. Mit allen Mitteln verfolgen sie ihr Ziel und lehnen vorschnell jede Alternative ab.

Es wird erzählt, einige Politiker seien mit dem Hubschrauber über die Innenstadt geflogen und hät-ten das riesige Gleisgelände entdeckt, aus dem man nie dagewesene Renditen ziehen könnte. Die Augen gingen ihnen über. Sie sahen nur noch Geldvermehrung und hatten keine Ohren für das, was ganz normale Bürger davon denken. Das war der Anfang dieses Unglücks.

Liebe Freundinnen und Freunde, wenn ich damit nur ein bisschen recht habe, dann geht es zunächst um Stuttgart 21. Aber es geht um noch viel mehr, nämlich um die Frage, wie bei uns entschieden wird. Sind Rendite und Geldvermehrung das einzige Kriterium, nach dem entschieden wird, wie wir die Stadt gestalten und mit der Umwelt umgehen? Diese Frage geht uns als Christen und als Kirche sehr wohl an.

Wenn schon Eigentum dem Gemeinwohl verpflichtet ist, dann können nicht ganze Straßenzüge zu Renditeobjekten erklärt werden.

Also noch einmal: Kommt alle am kommenden Samstag, 14 Uhr zur großen Demo vor dem Bahnhof. Bringt viele andere Menschen mit. Mit dieser Demo machen wir selbst ein Stück weit Kirchentag.

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