Gerichtsbericht vom 1.10.2015 – „Es sitzen die Falschen auf der Anklagebank“

Am Donnerstag, 1. Oktober 2015, standen drei wegen Hausfriedensbruchs Angeklagte im Raum 103 des Amtsgerichts. Fast dreißig Zuhörer saßen ihnen solidarisch zur Seite. Manche von ihnen hätten genauso gut auf der Anklagebank sitzen können - ihre Verfahren zum selben Sachverhalt waren jedoch eingestellt worden.

Als knappes Resümee der Verhandlung bzw. auf die Frage, wie es denn gewesen sei, hier eine kurze Antwort: „Ganz normal. Ohne besondere Vorkommnisse.“ Soll heißen: Die Anklage war klar definiert, der Sachverhalt unumstritten. Die Angeklagten bekannten sich zu ihrer „Tat“; es gab keine (polizeilichen) Zeugen, die sich entweder an nichts erinnern konnten oder widersprüchliche Aussagen machten; Staatsanwältin und Richterin hörten sich emotionslos die Einlassungen und Plädoyers an; die Staatsanwaltschaft forderte ein höheres Strafmaß als im Strafbefehl; die Richterin verurteilte erwartungsgemäß.
Dass die Verhandlung dann doch drei Stunden dauerte und dass sie außerdem zu  einem Highlight in der langen Prozessreihe der S21-Gegner wurde, lag an den grandiosen Einlassungen der Angeklagten und am Plädoyer des Rechtsbeistands.

Zur Vorgeschichte
Ende Juli 2013 hatte es in den Stuttgarter Wagenhallen das „3. Europäische Forum gegen unnütze, aufgezwungene Großprojekte“ gegeben. An die 2000 TeilnehmerInnen kamen aus Ländern, in denen technische Großprojekte geplant sind oder bereits errichtet wurden, die keinen wirtschaftlichen Nutzen bringen, sondern nur sozialen und ökologischen Schaden anrichten. Initiativen waren aus Frankreich, Italien, England, Spanien, Belgien, der Türkei und Indien gekommen.  Deutsche Gruppen hatten den Flughafenausbau in Frankfurt, die Fracking-Versuche in Niedersachesen, die  Fehmarn-Belt-Überquerung und natürlich Stuttgart 21 als Themen. Es gab Vorträge, Diskussionen und Workshops. Am besagten Montag, 29. Juli 2013, fand dann eine gemeinsame internationale Demonstration mit Blockade am Technikgebäude am ehemaligen Nordflügel statt. Hier die Fotos von W. Rüter:

Der Tathergang
Im Rahmen dieser Demonstration verlagerten einige Aktivisten aus Deutschland und Frankreich ihren Protest auf das Gebiet innerhalb der umzäunten Baustelle und auf einen Bagger. Hier wurde ein Banner entrollt, einige Demonstranten kletterten auf das Baufahrzeug. Die herbeigeeilte Polizei nahm die Personalien der Demonstranten  auf, es wurden Platzverweise ausgesprochen, denen sie nachkamen. Die Demonstranten auf dem Bagger wurden von einer Spezialeinheit heruntergeholt.

Ermittlungen und Anklage
Nach den Ermittlungen wurde gegen fünf der Beteiligten – darunter der fahnenschwenkende Franzose auf dem Bagger – das Verfahren eingestellt, drei Beteiligte bekamen Strafbefehle. Die Einstellungen von Verfahren wurden mit der „weißen Weste“ begründet, d.h. dass über vier Beteiligte keine Eintragungen im Bundeszentralregister vorlagen. Und ein Verfahren gegen einen Franzosen erschien wohl zu kompliziert. So verblieben drei Beteiligte, die Voreintragungen im BVR hatten und die man als „Wiederholungstäter“ nicht laufen lassen wollte.

Die Angeklagten und ihre Anklage
Die drei Angeklagten – Ursel B., Karl B., Dieter R. – waren mit Rechtsbeistand Jänicke am Donnerstag, 1.10.2015, in den Gerichtssaal gekommen. Staatsanwältin Mattheis und Richterin am Amtsgericht Borst vertraten die Justiz. Richterin B. eröffnete das Verfahren, Staatsanwältin M. verlas die Anklage gegen jeden der drei Protagonisten, die da lautete, dass sie am 29.7.2013 widerrechtlich durch ein geöffnetes Tor auf das befriedete Baugelände der Firma Züblin gegangen seinen,  dort Banner enthüllt und einen Baukran bestiegen haben, von dem zwei der Angeklagten von der Polizei heruntergeholt werden mussten.

Nach § 123 (1) des Strafgesetzbuches sei dies als Hausfriedensbruch zu werten, eine „Straftat gegen die öffentliche Ordnung“, die da lautet: „Wer in die Wohnung, in die Geschäftsräume oder in das befriedete Besitztum eines anderen oder in abgeschlossene Räume, welche zum öffentlichen Dienst und Verkehr bestimmt sind, widerrechtlich eindringt, oder wer, wenn er ohne Befugnis darin verweilt, auf die Aufforderung des Berechtigten sich nicht entfernt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Die Tat wird nur auf Antrag verfolgt.“

Abladung von Zeugen
Da die Angeklagten die Sachlage einräumten und keinen weiteren Klärungsbedarf sahen, hätten sie gern auf Zeugen verzichtet (die im Falle einer Verurteilung Kosten verursachen), doch das Gericht war ihrem Antrag nicht nachgekommen. Die Richterin hatte dennoch die Zeugen geladen, da sie während der Verhandlung selber hören wollte, ob die Angeklagten der staatsanwaltlichen Anklage folgen würden oder aber einen Tatbestand angeben würden, der Zeugen nötig machte. Da die drei Angeklagten aber nochmals beteuerten, keine Zeugen nötig zu haben, wurden diese nach ihrem Erscheinen sogleich verabschiedet.

Die Strafantragsberechtigung
Im Folgenden ging es nun um die in § 123 StGB angesprochenen Besitzverhältnisse – in diesem Fall das „befriedete Besitztum“. Wer hatte die Berechtigung, die Polizei zwecks Räumung der Demonstranten zu holen bzw. wer war berechtigt, einen Strafantrag zu stellen? Auskünfte darüber waren im Rahmen der Ermittlungen eingeholt worden, Kopien von Verträgen lagen in den Akten: die Baufeldübergabe der DB Projektbau an die Firma Züblin zwecks Bauarbeiten. In der vertraglichen Baufeldübergabe am 1. Juli 2013 wurde in die vorübergehende Nutzung der Flächen auch eine Klausel aufgenommen, dass die Firma Züblin vorsorglich ermächtigt wird, Strafanträge wegen möglicher Störungen zu stellen. Auf Nachfrage des Rechtsbeistands wurde bestätigt, dass die Bauflächenübergabe von der Stadt Stuttgart an die DB Projektbau  am 30.9.2010 erstellt wurde und am 1.10.2010 in Kraft getreten war.

Angaben zu persönlichen Verhältnissen
Eigentlich wollten die Angeklagten zu ihrer Person keine Angaben machen, doch fragte die Richterin so einfühlsam nach Beruf und persönlichen Verhältnissen, dass die Angeklagten dann ihre Berufe definierten. Auf den Einwurf, dass doch die Staatsanwaltschaft alle persönlichen Daten in den Akten habe, wurde geantwortet, dass „… was wir hier nicht erörtern, gilt als nicht bekannt. Was in der Akte steht, dürfen wir nicht verwerten. Dies ist ja möglicherweise nicht der aktuelle Stand.“ So blieb es bei den wenigen Angaben. Das Einkommen müsste dann bei einer möglichen Verurteilung geschätzt werden.

Einlassungen der Angeklagten
Was nun folgte, war wieder einmal eine Sternstunde auf dem Gericht, verantwortlich dafür die drei Angeklagten, die mit ihren langen und profunden Einlassungen nach jedem Referat das Publikum zu herzlichem Klatschen veranlassten (was von der Richterin hingenommen wurde).
Wer öfter Prozessen von S21-Gegnern beiwohnt, denkt zunächst, nun sei aber  wirklich alles zum Thema „Unrechtsprojekt S21“ gesagt. Doch immer wieder – und so war es auch an diesem Vormittag – ist man beeindruckt von der Professionalität, der Hingabe und der Faktenkenntnis von Angeklagten. Obwohl die Sympathisanten auf den Zuschauerbänken eigentlich alle Fakten kannten, obwohl sie schon gefühlte Hunderte Mal die ganze Risikopalette, Unrechtmäßigkeit und Verwerflichkeit des Projekts gehört hatten, herrschte gespannte Stille, als die Angeklagten ihre Argumente vorbrachten. Alles trug zu der Begründung bei, warum sie an genau diesem Tag an genau dieser Stelle stehen mussten und warum sie sich nach wie vor gegen das Monsterprojekt stemmen.
Dem Gericht musste man zugute halten, dass es den Angeklagten Zeit ließ für ihre Einlassungen und die Redner nicht unterbrach oder zur Kürze ermahnte. Dass S21-Prozesse eben politische Prozesse sind, war auch daran zu erkennen. In welchen „normalen“ Prozessen würden sich Angeklagte so kenntnisreich und mit fundierten Argumenten mit der Begründung ihrer „Tat“ auseinandersetzen und diese in viele Seiten langen Einlassungen darlegen?  Schon aus diesem Grund ist es immer wieder ein – wenn auch zweifelhafter – Genuss, einer Gerichtsverhandlung mit S21-Gegnern beizuwohnen.

„Was ist das Begehen einer Baustelle gegen die Zerstörung unserer Stadt?“
In ihrer Einlassung machte Ursel B. deutlich, dass sie nur zwanzig Minuten auf der Baustelle war, um gegen die Zerstörung der Stadt zu demonstrieren. Sie verwahrte sich dagegen, dass S21-Gegner wie Kriminelle behandelt werden, die für ihr Engagement gegen S21 einen Strafbefehl bekommen, während die eigentlichen Kriminellen die S21-Betreiber seien. „Wo bleibt die Verurteilung dieser Verbrecher?“, rief sie. Und im Folgenden zitierte sie den Polizeieinsatz vom 30.9.2010 und die schweren Körperverletzungen. „In meinem Fall geht es um das Betreten eines Grundstücks, bei dem keine einzige Person irgendwie geschädigt wurde. … Das ganze Projekt Stuttgart 21 ist eine lange Serie von Rechtsbrüchen von Seiten der Projektbetreiber. … Brandschutz … sechsfache Gleisneigung, es geht um Leib und Leben von Bahnbenutzern … Aber kein Staatsanwalt ermittelt. Wir können noch nicht einmal Strafanzeige erstatten“,  warf sie dem Gericht vor. Sie geißelte die Unwirtschaftlichkeit des S21-Projekts und dass es die Generalstaatsanwaltschaft trotz erdrückenden Beweismaterials ablehnte, gegen den Bahnvorstand wegen Untreue  zu ermitteln. Sie führte weitere Beispiele für die Untätigkeit der Staatsanwaltschaft in Bezug auf die S21-Projektbetreiber an und schloss mit der eindringlichen Frage: „Was ist das Begehen einer Baustelle gegen die Zerstörung unserer Stadt durch diese Baustellen? Deshalb fordere ich Freispruch.“

Die Richterin befragte die Angeklagte nach Details beim Einsatz der Polizei und stellte fest, dass die auf der Baustelle befindlichen Demonstranten nach und nach einzeln von den Polizisten angesprochen und zum Weggehen aufgefordert worden waren. Die Angeklagte habe nach der ersten Aufforderung den Platz verlassen. Gemeinsam mit den anderen am Prozess Beteiligten wurden nun Fotos von der Demonstration angesehen.

„Es ist rechtens, auf die Verwerflichkeit des Projekts hinzuweisen“
Der Angeklagte Karl B. ging in seiner Einlassung detailliert auf den Geist der Aktion als Abschluss des zuvor in Stuttgart stattgefundenen „3. Europäischen Forums gegen unnütze, aufgezwungene Großprojekte“ ein. Er schilderte eindrucksvoll die menschen- und naturverachtenden Bedingungen von Großprojekten in Italien, Frankreich, Spanien und Rumänien und bezog sich auch auf das Ende März 2013 in Tunis abgehaltene internationale Weltsozialforum (Anm.: Ein Treffen intern. Vereinigungen und Bewegungen, die gegen den Bau großer Infrastrukturprojekte und Großanlagen kämpfen und sich in Tunis versammelten, um ihre Kräfte zu vereinen und ihrer Stimme mehr Gehör zu verschaffen). Er las im Gerichtssaal Auszüge aus der „Charta von Tunis“ vor und bezog sich dann auf Themen wie Klimaveränderung, Fracking, Uranerztransport in Deutschland und andere umstrittene Großprojekte. „Wir können dem Raubbau nicht weiter zuschauen, wir müssen unseren Protest selber in die Hand nehmen. Mit unseren Treffen wie beim Dritten Europäischen Forum versuchen wir miteinander zu überlegen, wie wir handeln können, dass Projekte eingestellt werden.“

Und zu der Aktion am besagten 29. Juli 2013 sagte er: „Am letzten Tag des Treffens gab es ein internationales Frühstück am Bauzaun. Wir haben eine Kundgebung gemacht, wo die Gruppen des Forums ihre Themen in die Öffentlichkeit brachten. Wir haben gesehen, dass die Tür offen war und sind auf die Baustelle gegangen. Wir wollten rein, um die Transparente deutlich zu zeigen. Ich habe mit meinem Transparent die Demonstranten unterstützt. Die Polizei ist uns aber schnell gefolgt. Es war eine Versammlung. Diese wurde weder von der Behörde noch von der Polizei aufgelöst. Diese Maßnahmen waren rechtswidrig, deshalb halte ich auch das Verhalten der Polizei für rechtswidrig.“ Er gab auch zu bedenken, dass im Falle von S21 inzwischen Blockaden als legitime Form der Versammlung anerkannt werden und dass am Landgericht immer mehr Verfahren eingestellt werden oder mit einem Freispruch enden. Aber das sei beim Amtsgericht noch nicht angekommen, hier werde in der Regel verurteilt. Dennoch halte er es für rechtens, auf die Verwerflichkeit des Projekts mit einem Protest auf der Baustelle hinzuweisen. Denn S21 sei ein Relikt des alten Denkens. „Hier werden Millionen Tonnen Primärenergie in Beton umgesetzt. Der jetzige Bahnhof ist der Pünktlichste, er wird zu einer Kapazität von 30 bis 50 % weniger umgebaut, für weniger Menschen und für Güterzüge gar nicht nutzbar.“

„Die Kleinen hängt man, die Großen lässt man laufen“
Der Angeklagte Dieter R. begann seine Einlassung mit dem Zitat „Die Kleinen hängt man, die Großen lässt man laufen“ und schilderte dann die Inhalte des „3. Europäischen Forums gegen unnütze, aufgezwungene Großprojekte“, als dessen Abschluss die Demonstration an und auf der Baustelle erfolgt war. Er beklagte die Ignoranz und Gleichgültigkeit von Politik und Medien, wenn es um nicht gewünschtes bürgerschaftliches Engagement gehe und betonte: „Nun hatte jedenfalls Stuttgart für ein paar Tage mal eine europäische Bedeutung, von der unsere Stadt-Oberen immer träumen. Nur kam keiner von ihnen zu den Veranstaltungen in den Wagenhallen, wo sie einiges hätten über die Ernsthaftigkeit und das Engagement von ihren Bürgern lernen können. Ja, sogar die sog. unabhängigen Medien verschwiegen beflissentlich dieses europäische Treffen von Hunderten engagierter Bürger.“ (Anm.: Tatsächlich hatte die Stuttgarter Zeitung das Forum völlig übersehen, doch die taz berichtete in ihrer Kontext-Ausgabe vom 31.07.2013 ausführlich.)

An den Anfang seiner Einlassung hatte Dieter R. eine Auflistung gestellt, über „Schwindeleien, Tricksereien, Betrügereien und Korruption eben jener Großen, die ich in Stuttgart erlebte oder von denen ich erfuhr, …“  Dreizehn Beispiele aus den letzten Jahren beschrieb er ausführlicher. Es  ist immer wieder beeindruckend und erschütternd zugleich, wenn man – wie in dieser Zusammenfassung von Dieter R., – in so geballter Form exemplarisch die Schweinereien um die Ohren geknallt bekommt. Er führte den EU-Subventionsbetrug über 114 Mio. Euro für das S21-Projekt an und wie dieser im Internet vertuscht wird. Dass auch die EU-Betrugsbehörde OLAF hier eine unrühmliche Rolle spielt, legte Dieter R. ausführlich dar. Zum Schluss seiner umfangreichen Einlassung sagte er: „Solche friedlichen Aktionen des zivilen Ungehorsams sind meiner Meinung nach notwendig und legitim, da es hierbei darum geht, die Öffentlichkeit deutlicher darauf aufmerksam zu machen, dass dieses Projekt verkehrs-, umwelt- und demokratieschädlich ist. Für die Staatsanwaltschaft habe ich einige Anregungen aufgeführt, bei welchen Großen sie dringender aktiv werden müsste, statt mit Akribie uns Kleine ständig zu verfolgen. Dieser Prozess sollte deshalb mit einem Freispruch enden.“
Er gab Kopien seiner Einlassung an Staatsanwältin und Richterin, und man trug sich mit der leisen Hoffnung, dass diese die sorgfältig ausgearbeiteten Papiere nicht nur zu den Akten nehmen, sondern auch durchlesen – und die Brisanz der Aussagen begreifen würden.

Was (be)sagt das Bundeszentralregister?
Im Anschluss an die Einlassungen der Angeklagten wurden die Auszüge aus dem Bundeszentralregister verlesen. Im Bundeszentralregister werden nach dem Bundeszentralregistergesetz (BZRG) § 1„… strafgerichtliche Verurteilungen durch deutsche Gerichte, bestimmte Entscheidungen von Verwaltungsbehörden, Vermerke über Schuldunfähigkeit und besondere gerichtliche Feststellungen eingetragen  …“ (Anm.: Strafen von nicht mehr als 90 Tagessätzen werden nach fünf Jahren getilgt.) Grundsätzlich holt sich ein Richter vor Eröffnung eines Verfahrens Auskunft über Eintragungen der Angeklagten im BZR ein.

Wäre man „fachfremd“ und nicht mit den Gegebenheiten des Widerstand gegen Stuttgart 21 vertraut, so könnte man erschrecken bei Begriffen wie Nötigung, Hausfriedensbruch und Sachbeschädigung. Der Angeklagte Dieter R. erklärte zu seiner  Eintragung wegen einer Nötigung: „Das Zentralregister sagt nicht aus, um was es ging. Nötigung klingt wie eine schwere Straftat, doch bin ich nur vor einem Bauzaun gestanden. Auch Hausfriedensbruch klingt wie ein krimineller Akt, doch habe ich nur ein  Gebiet betreten, das meiner Meinung nach der Öffentlichkeit gehört und dieser widerrechtlich genommen wurde.“

Ja, es ist nötig, sich die Gründe für die verurteilten Taten anzuhören. Mit großer Ernsthaftigkeit  kommentierten die Angeklagten die Hintergründe für ihre Vorstrafen. So wurde deutlich, mit welchem Engagement sie sich seit Jahren gegen Stuttgart 21, EUCOM-Kriegsbeteiligung und Gen-Technik wehrten und dafür bestraft wurden. Das Herausreißen von genmanipulierten Pflanzen auf einem Acker und die Neuanpflanzung von sauberem Mais wurde als Sachbeschädigung geahndet, auch wenn Jahre später die Gen-Versuche in Deutschland – auch aufgrund von Protesten und Aktionen – abgebrochen wurden.

Plädoyer und Strafanträge der Staatsanwaltschaft
In ihrem Plädoyer nahm die Staatsanwältin zunächst Stellung zu dem Tatvorwurf. Sie begann damit zu wiederholen, dass die Angeklagten den objektiven Sachverhalt im Tatvorwurf eingeräumt hätten, dass sie die Baustelle betreten haben. Auf diesem vom Gesetz als befriedetes Gebiet bezeichneten Bereich war die Firma Züblin berechtigt, Bauarbeiten durchzuführen. „Es war den Angeklagten bekannt, sie wussten, dass sie das Gebiet nicht betreten durften. Die Angeklagten haben vorgebracht, dass sie sich als berechtigt fühlten, das Gelände im Rahmen des Zivilen Ungehorsams zu betreten. In diesem Fall hätten sie ihre Meinungsfreiheit auch vor der Baustelle ausüben können, auch auf andere Weise. Hier steht Grundrecht gegen Eigentumsrecht. Der Zivile Ungehorsam beinhaltet Illegalität, deshalb ist er kein Rechtfertigungsgrund.“

Die StAin befasste sich mit jedem der drei Angeklagten zum Zwecke des Strafantrags. Ursel B. sei zwar nur eine halbe Stunde auf dem Gelände gewesen, doch ihre Vorstrafen rechtfertigten keine Einstellung des Verfahrens. Sie hielt 30 Tagessätze je 10 Euro für angemessen. Bei Karl B. lasteten die Vorstrafen stärker auf der „Schuld“, auch sei er längere Zeit auf der Baustelle gewesen und habe durch das Sondereinsatzkommando  (SEK) vom Kran heruntergeholt werden müssen. Sie beantragte  50 Tagessätze je 20 Euro. Auch bei Dieter R. seien die Vorstrafen nicht zu übersehen, außerdem ginge auch seine Abseilung vom Bagger durch das SEK zu seinen Lasten. Deshalb hielt sie 30 Tagessätze je 50 Euro für gerechtfertigt.

Das Plädoyer des Rechtsbeistands
Auch wenn die Angeklagten ihre „Taten“ einräumten – allerdings unter der Prämisse, dass sie die S21-Baustelle als illegal ansehen -, so ist es die Aufgabe eines Rechtsbeistand am Ende einer Beweisaufnahme und der Strafanträge der StA, in seinem Plädoyer das Verfahren in einem größeren Zusammenhang und mit dem Auge eines Analysten zu betrachten. Der Rechtsbeistand bzw. Anwalt ist es, der den Überblick behält, der im Dschungel der Paragrafen, der juristischen Begriffe und schnellen Abfolge von Vorwürfen, Zeugenaussagen, Befragungen, Vorhalten, Foto- und Filmbetrachtungen, internem Schriftverkehr, Strafgesetzbuch, Polizeirecht, Besitzrecht, Ordnungsrecht, Grundgesetz, Landesverfassung, vorgelegten Firmenverträgen, Rahmenbefehl, Strafprozessordnung etc. etc. den Durch- und Überblick behalten sollte.  Zwar kann ein Anwalt nur je einen Mandanten vertreten, doch wenn der Tatvorwurf auch für andere Angeklagte zutrifft, können die von seiner Prozessführung profitieren. So sprach Rechtsbeistand Jänicke zwar nur für seine Mandantin, doch galt alles, was er vorbrachte, auch für die beiden anderen Angeklagten.

Hier Auszüge aus seinem Plädoyer:
„… Frau Staatsanwältin hat gesagt, das Gelände sei eingegrenzt gewesen. Zwar gab es einen Zaun, doch das Tor stand deutlich offen. § 123 des Strafgesetzbuches trifft  deshalb nicht zu, weil meine Mandantin nicht in ein befriedetes Gebiet eingedrungen ist, sondern es war ein Verweilen. In dem Moment, wo sie aufgefordert wurde, ist sie gegangen. Es ist jedoch erst strafbar, wenn sie sich nach der zweiten Aufforderung nicht entfernt. … Doch stehen sich hier zwei Sichtweisen gegenüber.“

Und gleich anschließend ordnete Jänicke das Geschehen an der Baustelle und das Verhalten der Justiz in einen größeren Zusammenhang ein.
„Die Staatsanwaltschaft schlägt auf den Zipfel des Schwanzes, aber der Fisch stinkt mächtig am Kopf. Dies haben alle Angeklagten eindringlich rübergebracht. Ein Beispiel ist der Prozess gegen den Angeklagten B. im Jahr 2012, wo er zu 50 Tagessätzen verurteilt wurde, da er Pflanzen der Genkartoffel Amflora aus einem Feld gerissen hatte. Im folgenden Jahr hat der Europäische Gerichtshof die Genversuche von BASF als rechtswidrig erkannt und beschieden, dass die Genkartoffel weder angebaut noch vertrieben werden darf. Sind die Aktivisten rehabilitiert worden? Ich wiederhole: Der Fisch stinkt vom Kopf her. … Zurück zum Fall: Auch jemand, der sich in meiner Wohnung aufhält, kann dazu berechtigt sein. Ich will zwar, dass er hinausgeht, aber er kann die Befugnis haben zu bleiben. Befugnis lässt sich auf verschiedene Weise herstellen. Zum Beispiel durch das Versammlungsrecht, ein Grundrecht. Wir haben zuvor alles auf den Fotos gesehen, was zu einer Versammlung gehörte. In der Akte ist kein Hinweis, dass die Polizei die  Versammlung ordnungsgemäß aufgelöst hat. Polizeirechtliche Maßnahmen dürfen aber erst eingesetzt werden, wenn die Polizei die Versammlung aufgelöst hat. Doch meine Erfahrung mit der Stuttgarter Staatsanwaltschaft ist, dass hier das Versammlungsrecht sowieso nicht gilt. Der Grund: Der Fisch stinkt vom Kopf her. Wenn man das Versammlungsrecht ernst nähme, müsste man anders entscheiden.“

„Nun zur Befugnis: Es ist zwar nicht üblich, in eine Baustelle einzudringen, aber darf man daraus schließen, dass deshalb niemand anders das Recht hat, sich dort aufzuhalten?  Nach welchem Recht? … Wenn man dies fragt, hört man: Das ist halt so. Doch dies ist keine Antwort und eines demokratischen Rechtsstaats nicht würdig. Vom Bürger wird  erwartet, dass er sich einbringt, sich beteiligt. Das Bundesverfassungsgericht hat in den 1980er-Jahren den sogenannten Brokdorf-Beschluss gefasst und im Vorwort festgestellt, dass es Grundlage eines demokratischen Gemeinwesen ist, dass sich die Bürger individuell und im Kollektiv zu Wort melden, weil sonst der politische Apparat in der alltäglichen Routine erstarrt und Fehler macht.“ Und er zitiert die ersten Sätze des Vorworts: "Das Recht des Bürgers, durch Ausübung der Versammlungsfreiheit aktiv am politischen Meinungsbildungsprozess und Willenbildungsprozess teilzunehmen, gehört zu den unentbehrlichen Funktionselementen eines demokratischen Gemeinwesens."

Und er gab ein aktuelles Beispiel für diese erstarrte Routine: „Seit Jahren weiß man, dass Fahrzeuge mehr CO2 ausstoßen. Seit Jahren weiß man, dass die Tests falsch sind. Aber die Bundesregierung geht nach Brüssel und sagt „Bloß nichts ändern“. Jetzt glotzen uns die gleichen Leute blöde an, weil VW bescheißt ohne Ende. Sie sägen an der Lebensgrundlage der Menschen und töten Menschen. Winterkorn musste abtreten. In welcher JVA sitzt er denn in U-Haft?“

„Warum erzähle ich das?“, fragte Jänicke. „Der Strafanspruch des Staates hat leider nichts mit Gerechtigkeit zu tun. Generationen von Juristen müssen sich beim Studium  mit Rechtsphilosophie auseinandersetzen. Sie wissen eigentlich: Der Staat hat eine Neutralitätspflicht, er muss Straftatbestände verfolgen. Wenn der Staat aber anfängt, in einem politischen Konflikt Straftaten der einen Seite zu ignorieren und jede Lappalie der anderen Seite zu ahnden, dann verlässt er den Weg der Neutralität. Die Justiz darf nicht zugunsten von einer Seite eingreifen. Die Justiz in Stuttgart ist aber einseitig. Sie entscheidet, wer und was nicht verfolgt wird.“ Im Folgenden listete Jänicke die mangelnde Ermittlungsbereitschaft der Justiz im Falle von OB Schuster zwecks Bürgerbegehren, im Falle des polizeilichen Einsatzes am 30.9., im Falle der unzulässigen Baumfällungen am 30.9. auf.

„Meine Mandantin ist durch ein offenes Tor auf eine Baustelle gegangen und nach Aufforderung wieder hinaus. Trotzdem soll sie wie eine Kriminelle wegen Hausfriedensbruchs bestraft werden. Das ist nicht nachvollziehbar. Die Staatsanwaltschaft schlägt auf die äußerste Schwanzflosse des Fisches, der stinkt aber vom Kopf her.“

Die letzten Worte der Angeklagten
Die Angeklagte Ursel B. bezog sich in ihrem letzten Wort auf die Ausführungen ihres Rechtsbeistands: „Es ist alles gesagt, Herr Jänicke hat die Problematik hervorragend juristisch dargestellt.“

Der Angeklagte Karl B. setzte sich in seinem letzten Wort mit der Rolle der Staatsanwaltschaft auseinander. Diese werde von der Industrie benutzt und vertrete die Lobbyisten. „Das ist nicht Ihr Job“, sprach er die StAin direkt an. Er berichtete, dass über Jahre auf dem Kurt-Georg-Kiesinger-Platz demonstriert wurde und „… es ist nach wie vor unser Platz. Vielleicht ist doch ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs nötig, damit Richter und Staatsanwaltschaft verstehen, dass der Protest gegen S21 richtig ist. Es bleibt den Menschen ja nichts anderes übrig, als auf diese Art zu demonstrieren. S21 soll durch Faktenschaffen unumkehrbar gemacht werden. Wie kriminell muss dieses System 21 sein?!. Damit verlassen die Machthabenden den Boden der Demokratie und werden zu gemeingefährlichen Zerstörern. So ist die Politik der verlängerte Arm der Lobbyisten. Und die Judikative schützt dieses System und merkt nicht, dass es eine Zerstörung der Lebensgrundlage ist. Deshalb sind unsere Aktionen notwendig, als Schutz der Lebensgrundlage.“ Er las den Schlusssatz im Artikel des Stern vom 24.9.2015 vor, der da lautet: „´Den Glauben an die Objektivität bei der Wahrheitsfindung der Justiz habe ich verloren`, sagt Richter a.D. Reicherter.“ Und Karl B. schloss mit „Frau Richterin, Sie können uns nur freisprechen“.

Der Angeklagte Dieter R. zitierte in seinem letzten Wort aus dem Buch „Politische Justiz in unserem Land“, wo im Vorwort Herta Däubler-Gmelin (ehem. Ministerin der Justiz) schreibt: „ Wo Hinweise, ja Belege, auf Probleme sich so massieren, …, muss dem gründlich und schonungslos nachgegangen werden. Sonst verfestigt sich der Eindruck weiter, als seien Wertesystem und Neutralität bei einigen der Verantwortlichen gründlich verrutscht, als seien ´systemrelevant` in ihrem Wertesystem weniger die Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger als der Schutz einer …. ´marktkonformen Demokratie`“. Dieter R. betonte: „Eine ehemalige Justizministerin kommt zu dieser Einschätzung der Justiz in Stuttgart! Und trotzdem schaue ich positiv in die Zukunft, glaube ich, dass es irgendwann einen mutigen Richter oder eine Richterin gibt, der umgekehrt zum alten Sprichwort die Kleinen laufen lässt und die Großen hängt. Ob dies in Stuttgart passieren wird, daran habe ich meine Zweifel.“

Das Urteil und seine Begründung
Nach einer Urteilsfindungspause wurde das Urteil über die drei Angeklagten gesprochen. Sie wurden zu 25 Tagessätzen je 10 Euro, 40 Tagessätzen je 20 Euro und 20 Tagessätzen je 50 Euro  verurteilt und müssen die Kosten des Verfahrens tragen. Anzumerken ist, dass die Richterin nicht den Anträgen der StAin folgte, sondern bei der Strafzumessung auf die Höhe des ursprünglichen Strafbefehls heruntergegangen ist.
In der Begründung sprach die Richterin die Fragen des Rechtsbeistands an, die dieser im Plädoyer geäußert hatte. „Ich weiß nicht, ob Sie auf Ihre Fragen eine Antwort erwarten. Das ist auch nicht relevant. Es geht um Hausfriedensbruch, der zu bejahen ist, und meine persönliche Meinung spielt keine Rolle. Die Frage ist, wie man bei einem Protest an die Öffentlichkeit geht und mit welchen Mitteln. Bei ihrem Protest müssen die Angeklagten Strafen bewusst in Kauf nehmen. Es spielt keine Rolle, ob das Tor weit offen stand oder gar nicht auf war. Klar war, dass das Gebiet befriedet war und einen Zaun hatte. Es stellte sich nur noch die Frage des Strafmaßes. Der objektive Sachverhalt wurde eingeräumt. …. Alle drei Angeklagten hatten Voreintragungen im Bundeszentralregister, deshalb haben die übrigen Ermittelten Einstellungen bekommen.“

Die Sitzung wurde um 11:30 geschlossen.

Anmerkungen zu den Vorgängen im Gerichtssaal und zum Gerichtsbericht
Kann man Gerichtsberichte kürzer fassen (In der Kürze liegt die Würze. Wer soll denn mehr als 10 Seiten lesen)? Sicher, aber ich nicht. Es ist mir immer wieder wichtig, einen Prozesstag in seiner ganzen Vielschichtigkeit, in seiner Problematik darzustellen und die Bemühungen der Angeklagten zu würdigen.

Auch die Rolle der Justiz gilt es deutlich zu machen. Immerhin hörten sich StAin und Richterin die Einlassungen und Plädoyers an, wenn auch nicht erkennbar war, ob etwas von den Anliegen der Angeklagten bzw. des Rechtsbeistands und wenn ja, wie viel und mit welcher Akzeptanz durch die unsichtbare drei Meter dicke Glaswand  im Gerichtssaal drang. Anmerken ließen sich jedenfalls weder Richterin noch StAin nichts.

Doch diese Erwartung einer Reaktion auf Seiten der Justiz ist illusorisch. Was ich erwarte, ist zwar nicht ein Klatschen auf der Richterbank, wohl aber, dass - bei aller Neutralität – zu erkennen ist, dass die Justiz den Inhalt der Einlassungen begriffen hat und die in sich logischen und in der Wortwahl gut dargebrachten Argumentationen wertschätzt. Sehr ernsthaft erwarte ich von der Richterbank am Stuttgarter Amtsgericht eine Anerkennung der Angeklagten als Menschen, als Bürger, die sich riesig viel Mühe machen, ihre Anliegen und Argumente vorzubringen.

Als der letzte Angeklagte sein letztes Wort gesprochen hatte, verließ die Richterin wortlos und abrupt den Saal, ließ Zuhörer, Schreiberin und Staatsanwältin sitzen. Es fehlte das Übliche „Wir machen jetzt 20 Minuten Pause für die Urteilsfindung und sehen uns um 11:30 wieder.“ Sicher schreibt die Prozessordnung nicht vor, mit welchen Worten der Rückzug zwecks Urteilsfindung angetreten wird, aber guter Stil wäre es schon gewesen, eine Information in den Gerichtssaal zu schicken.

Die Urteilsfindung war in diesem Prozess eigentlich schon vor seinem Beginn abgeschlossen. Urteilsfindung setzt Suche voraus, dass man Rechtsgüter miteinander abwägt, dass Argumente von Angeklagten als gleichwertig mit dem Vorwurf der Staatsanwaltschaft angesehen werden. Geht die Justiz von vornherein davon aus, dass die Einlassungen von Angeklagten heiße Luft sind, so wären öffentliche Verhandlungen nur noch pro forma als Zugeständnis an den Rechtsstaat zu werten. Das ist zu wenig. Oder reicht es, dass wir uns schon glücklich schätzen dürfen, nicht in Weißrussland oder Mexiko zu leben, wo es Demonstranten nicht mal lebend bis in den Gerichtssaal schaffen?

Deshalb müssen Gerichtsberichte so lang werden, weil es mir wichtig ist, die Öffentlichkeit zu informieren und darzustellen, was selbst bei angeblich eindeutigen Sachverhalten in einem Prozess abläuft. Auch dies gehört zur Wertschätzung von Angeklagten, denen man immer wieder dankbar ist für ihr unermüdliches Eintreten für die Ziele der K21-Bewegung

Text: Petra Brixel
Fotos: Swen Holst

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12 Antworten zu Gerichtsbericht vom 1.10.2015 – „Es sitzen die Falschen auf der Anklagebank“

  1. Gerda Breuninger sagt:

    Ganz herzlichen Dank für diesen hervorragenden Bericht.

  2. Ilse sagt:

    Dieser Bericht ist so packend, dass ich ihn gleich quer durch die Republik zu meinen Freunden geschickt habe. Herzlichen Dank dafür!

  3. M.G.-B. sagt:

    Liebe Frau Brixel, auch ich kann mich nur herzlich bedanken für Ihre ausführliche Darstellung! Ich frage mich: Was geht nur in den Köpfen solcher StaatsanwältInnen u. RichterInnen vor? Wie fühlen die sich nach solchen Urteilen? Eigentlich müssten sie vor sich selbst erschrecken.
    Hochachtung vor den Angeklagten!!!

  4. PeterPan sagt:

    Danke Petra für diesen super Bericht!
    Auch interessante Berichte zu einem anderen „Hausfriedensbruch“ (Rathaus) gibt es hier zu lesen. Die Einlassungen bzw. Politischen Erklärungen kommen noch …
    https://buergerinnenparlament.wordpress.com/der-prozess/

  5. Thilo sagt:

    Nein, der Bericht war nicht zu lang. Er ist informativ und spannend. Ich habe ihn trotz Zeitnot mit großem Interesse gelesen und dabei keinen einzigen Rechtschreibfehler gefunden. Anzumerken ist lediglich, daß die frühere Bundesjustizministerin nicht Helga, sondern Herta heißt.

    Zu den Kosten für die Zeugen: Soweit ich weiß, richten sich die Gerichtskosten in einem Strafverfahren nur nach dem verhängten Strafmaß. Zusätzlich muß der Verurteilte natürlich noch seine eigenen Kosten für Verteidigung, Anreise usw. tragen. Andernfalls könnte das dazu führen, daß ein Angeklagter z. B. auf die Benennung eines weit entfernt lebenden Entlastungszeugen verzichtet, um nicht dessen Reisekosten tragen zu müssen, und stattdessen etwas zugibt, das er gar nicht getan hat. Dies gilt insbesondere dann, wenn eine Teilschuld unstrittig ist (also ein Freispruch ohnehin nicht in Frage kommt) und/oder nur eine Geldstrafe zu erwarten ist. Denn für den Betroffenen ist es letztlich fast egal, ob er eine geringere Geldstrafe und höhere Kosten oder eine höhere Strafe und geringere Kosten zu tragen hätte. Durch die Ladung oder Abladung von Zeugen ändert sich für die Angeklagten also nichts an den Kosten. In einem Zivilverfahren wäre das anders.

    Ich bin selbst Opfer eines Hausfriedensbruchs geworden, nur daß hier tatsächlich in ein Haus eingedrungen wurde. Die Tat wurde nicht verfolgt, weil angeblich kein öffentliches Interesse besteht. Vielleicht liegt das daran, daß die Täter nicht für ihre Umwelt und ihren Lebensraum engagierte Bürger waren, sondern ein gieriger und machtbesessener Energiekonzern, dem Recht und Gesetz sch…egal sind. (Vielleicht, weil er die hiesige Justiz kennt?)

    Möglicherweise tröstet uns die Vorstellung, daß die Staatsanwältin und die Richterin nicht mehr in den Spiegel schauen können und ihre Männer sie nur noch verachten. Das Ganze erinnert mich gleichfalls an die lächerlichen Farce-Prozesse in Rußland, bei denen das Urteil auch schon vorher feststeht.

    Ich hoffe, die drei wackeren Helden legen Berufung ein.

  6. Bürger auf der Straße (PS31608) sagt:

    Herzlichen Dank für den ausführlichen Bericht.
    Justiz hat nichts mit Gerechtigkeit zu tun.
    So das allgemeine Fazit könnte man sagen.
    Aber die Gerechtigkeit hat Zeit !
    Die Betroffenen müssen jedoch Geduld, Ausdauer, Wegbegleiter und mitdenkende Menschen haben. In Stuttgart haben Sie das !

  7. B. Stichling sagt:

    Danke Petra für deinen hervorragenden Bericht.
    Wie kann es eigentlich angehen, dass die Justizia immer noch nach dem Prinzip „Wiederholungstäter“ bei politischen Prozessen verurteilt ?

    Ein politischer Mensch wird durch ein Urteil doch nicht automatisch unpolitisch, zum Glück.

  8. Für mich sind Petras Berichte von Gerichtsverhandlungen Lichtblicke. Sie schaffen Transparenz, wo kaum einer von uns durchblickt. Wenn ich den Mut gefasst habe, in meiner Recherche „BND: Per Rechtsblockade gegen Sitzblockaden“ sogar das Verfassungsgericht zu kritisieren, dann auch, weil ich erst durch Petras Berichte vom Ausmaß auch des fachlichen Elends auf der Ebene unseres Amtsgerichts erfuhr. Nicht einmal das Verfassungsgericht bietet in Sachen Versammlungsrecht die erforderliche fachliche Orientierung, wie ich am Beispiel seines missglückten Wackersdorf-Urteils nachzuweisen versucht habe. Es war auch der Blick auf das Stuttgarter Justizelend, das mir die Kraft gab, eineinhalb Jahre am Thema zu bleiben und auch Euch 25 Seiten zuzumuten, die sich vorrangig an Juristen z. B. des Bundesjustizministeriums und des Verfassungsgerichts richten, in der Gewissheit, dass nur zwei oder drei von Euch sie durchstehen. Das Recht habe ich mir genommen, auf das Risiko hin, dass kaum einer das liest. Das Recht hat auch Petra.
    Mach weiter so, Petra! Oben bleiben!
    Reinhart V.

  9. ZITAT ANFANG: Als knappes Resümee der Verhandlung bzw. auf die Frage, wie es denn gewesen sei, hier eine kurze Antwort: „Ganz normal. Ohne besondere Vorkommnisse.“ Soll heißen: Die Anklage war klar definiert, der Sachverhalt unumstritten. Die Angeklagten bekannten sich zu ihrer „Tat“; es gab keine (polizeilichen) Zeugen, die sich entweder an nichts erinnern konnten oder widersprüchliche Aussagen machten; Staatsanwältin und Richterin hörten sich emotionslos die Einlassungen und Plädoyers an; die Staatsanwaltschaft forderte ein höheres Strafmaß als im Strafbefehl; die Richterin verurteilte erwartungsgemäß.
    Dass die Verhandlung dann doch drei Stunden dauerte und dass sie außerdem zu einem Highlight in der langen Prozessreihe der S21-Gegner wurde, lag an den grandiosen Einlassungen der Angeklagten und am Plädoyer des Rechtsbeistands. ZITAT ENDE

    Gut, dass ist die nötige Selbstbeweihräucherung bei der Selbstinszenierung als untergehender Märtyrer.

    Lesen wir genauer:
    ZITAT ANFANG: Da die Angeklagten die Sachlage einräumten und keinen weiteren Klärungsbedarf sahen, hätten sie gern auf Zeugen verzichtet (die im Falle einer Verurteilung Kosten verursachen), doch das Gericht war ihrem Antrag nicht nachgekommen. Die Richterin hatte dennoch die Zeugen geladen, da sie während der Verhandlung selber hören wollte, ob die Angeklagten der staatsanwaltlichen Anklage folgen würden oder aber einen Tatbestand angeben würden, der Zeugen nötig machte. Da die drei Angeklagten aber nochmals beteuerten, keine Zeugen nötig zu haben, wurden diese nach ihrem Erscheinen sogleich verabschiedet. ZITAT ENDE

    Also: Obwohl inzwischen (durch den Rathausbesetzungsprozess) klar ist, dass eine offensive Prozessführung durch eine formale Einlassung kaum möglich ist, wird das wieder gemacht. Als das Gericht dann trotzdem noch einen Prozess führen will, sind es die Angeklagten, die darauf bestehen, keine Beweisaufnahme zu machen und bitte verurteilt zu werden.

    Ginge es um Leben und Tod, wäre eine Einweisung wegen Selbstgefährdung die Folge. Hier aber wird ein derart deppertes Verhalten auch noch bejubelt.

    Ich sage: Ich bin geschockt. Warum haben wir das Ganze mit einer offensiven Prozessführung bei der Rathausbesetzung eigentlich gemacht???????????????????????
    Warum werden die alten Fehler mit den alten Berater_innen einfach weiter gemacht? Wollen wir verlieren und uns daran erquicken?????

    Ich bin sprachlos.

    • Peter Illert sagt:

      Sprachlos…. Ich weiss nicht. Die Baggerbesetzung und die Tathaus..(ist ein Tippfehler, lasse ich aber stehen)…besetzung sind doch zwei unterschiedliche Vorgänge. Da macht es doch eher Sinn, über die Strategie der Rathausbesetzungsverfahren zu diskutieren, gerade wenn der Prozess neu aufgerollt werden sollte…
      Eigentlich zielen die Prozesse doch auf zwei Dinge, finde ich. Am Ende -oder am nächsten Anfang- auf die Anklage, nämlich ob die Hintergrundentscheider und die politische Staatsanwaltschaft solche Prozesse mit der Begründung des generellen öffentlichen Interesses künftig noch einleiten (können). (- im Grunde zeigt so eine Anklage auch, dass mensch politisch noch als Kontrahent ernst genommen wird…)
      Am anderen Ende auf die Herstellung von Interesse an der Sache durch die -eigene-Schaffung von Oeffentlichkeit. Auch die Frage, ob ein Prozess nun „offensiv“ geführt wird oder nicht, ist doch eine Diskussion der Mittel und nicht Selbstzweck. Das hat mit dem politischen Selbstverständnis der AkteurInnen zu tun. Die grundlegende Diskussion darüber, in welchem Masse sich mensch an die bürgerliche Zivilgesetzgebung hält und welche Auswirkungen das hat, muss vor der Aktion geführt sein und nicht nach dem Prozess.
      Die Aktion während dem „Europäischen Forum“ war und ist Teil einer Kampagne, die fortgesetzt wird.
      Es wundert doch nicht, dass die Richterin auf Zeugenladung besteht um die Beweiskette zur Verurteilung wegen sogenanntem Hausfriedensbruch „bruch“- und berufungsfest zu machen , (da spielt das offene Tor auch eine Rolle). Und das an diesem Interesse der Richterin die Verteidigung nicht interessiert ist.
      Mit Lust auf Verurteilung hat das nichts tun…
      Jedenfalls ein grosses Dankeschön an die drei Angeklagten, dass sie die Aktion auf der Baustelle vor Gericht politisch verteidigt haben, und auch ein grosses Dankeschön an die Berichterstatterin.

    • Petra B. sagt:

      Hallo, Jörg Bergstedt,
      zu deinem Kommentar will ich Folgendes sagen:
      1. Wenn du das Verhalten der Angeklagten in besagtem Prozess (s.o.) als „deppert“ bezeichnest, so zeugt das nicht von Achtung für Angeklagte. Ich denke, schon allein, wenn sich jemand einem Prozess stellt, ist das zu würdigen.
      2. Jeder Angeklagte in S21-Prozessen sucht sich seinen Verteidiger/Rechtsbeistand selber aus, d.h. er/sie entscheidet sich für die eine oder andere Prozessführung, die eng mit der Persönlichkeit des Anwalts zusammenhängt.
      3. Wenn die Angeklagten sich nun mal für diese Prozessführung (s.o.) entschieden haben, so ist das wohl okay für sie. Das mag für andere Leute nicht okay sein, aber für sie ist es so.
      4. Die Kernfrage ist: Mit welchem Ziel wird ein S21/K21-Prozess geführt?
      5. Ist es mir egal, was hinten rauskommt? Ist es das Ziel, das Gericht an den Pranger zu stellen und der Justiz zu sagen, dass sie für mich sowieso nicht relevant ist, dass sie ein Handlanger des kapitalistischen Systems ist und ich sie nicht ernst nehme? Dann kann ich den Gerichtssaal zur Bühne erklären. Das ist natürlich für die Zuschauer und auch die Angeklagten (die ja a priori dahinter stehen sollten) sehr unterhaltsam, spannend und auch lehrreich. Ich will nicht abstreiten, dass ich in diesbezüglichen Verhandlungen – du erwähnst den Rathausprozess – viel gelernt habe bzw. manchen Denkanstoß bekommen habe. Bei Ceciles Prozess z.B. standen die Zuschauer Schlange, weil solche Prozesse eben in Stgt. bislang eine Seltenheit waren und tatsächlich zeigten, welche Möglichkeiten der Prozessführung es auch noch gibt. Sie standen aber auch Schlage, weil eine gute Show geboten wurde. Doch ist die Show das Ziel?
      6. So eine Prozessführung liegt nicht jedem. Manch einer fühlt sich unwohl dabei und überfordert.
      7. Du schreibst: „Warum haben wir das Ganze mit einer offensiven Prozessführung bei der Rathausbesetzung eigentlich gemacht?“ Ja, warum eigentlich? Es war interessant, diese Art von Prozessführung miterlebt zu haben. Ich achte die Angeklagten und Verteidiger im Rathausprozess sehr, doch darfst du nicht erwarten, dass bei diesen „Musterprozessen“ („musterhaften Prozessen“) der Funke gleich überspringt und nun alle S21-Prozesse so geführt werden (können).
      8. „… die alten Fehler …“, schreibst du. Was für alte Fehler denn? Hier sind wir wieder bei der Frage, warum man eigentlich einen Prozess führt. Will man das Rechtssystem ändern? Hat jeder Angeklagte die Kraft, das durchzustehen?
      9. „Wollen wir verlieren und uns daran erquicken?“, schreibst du. Geht es also doch darum, einen Prozess zu gewinnen (Freispruch, Einstellung)? Wenn dem so wäre, dann sehe ich nicht, dass bei einer offensiven Prozessführung mehr Einstellungen oder Freisprüche herauskommen als bei der angeblich traditionellen/konservativen Prozessführung. Meine Erfahrung in den letzten Jahren hat gezeigt, dass die Prozessführung sicher einen Einfluss auf das Urteil haben kann, aber z.B. im Rathausprozess hat es nur Verurteilungen gegeben, egal, ob offensiv oder konservativ. Wo ist die Statistik, die mir sagt, dass die offensive Prozessführung zum Erfolg führt?
      10. Es mag sein, dass die offensive Prozessführung mehr Einstellungen erwirkt. Irgendwann sind eben StA, Richter und Schöffen so genervt, dass sie einfach keine Lust mehr auf einen weiteren (für sie unerfreulichen) Prozesstag haben. Ist dann eine Einstellung aus diesem Grund (weil man die Nervensägen los sein will) ein Erfolg für die Gerechtigkeit?
      12. Und zuletzt: Wenn ich S21/K21-Prozesse beobachte und darüber schreibe (weil mir Öffentlichkeit wichtig ist), dann scheint darin natürlich auch die Sympathie für die Angeklagten durch. Ich kann mich zumindest gut in die Angeklagten hineinversetzen. Das konnte ich im besagten Prozess (s.o.) sowie auch im Rathausprozess (über den ich nicht geschrieben habe, weil ich nicht alle Tage angesehen hatte). Ich habe Hochachtung vor allen Angeklagten und ihren Anwälten, soweit sie ihre Mandanten befähigen, sich dem Prozess zu stellen und ihn in Würde durchzustehen. Daran hat ein Anwalt großen Anteil und ein Mandant fühlt sich bei ihm gut aufgehoben, wenn der Anwalt ihm ein Partner ist und nicht Vorgesetzter.
      Und so hoffe ich, dass du inzwischen deine Sprache wiedergefunden hast.
      In diesem Sinne beste Grüße.
      Petra. B.

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