Rede von Dr. Eisenhart v. Loeper vor dem S21-Ausschuss im Stuttgarter Gemeinderat

Rede von Dr. Eisenhart v. Loeper, Mitinitiator des 3. Bürgerbegehrens gegen S21, vor dem Ausschuss des Gemeinderats der Stadt zu Stuttgart 21 am 15.11.2016

Kosten und Finanzierung beim Projekt Stuttgart 21

Die vollständige Rede finden Sie hier auch als PDF-Datei.

Sehr geehrter Herr Vorsitzender, sehr geehrte Ratsmitglieder und Anwesende,

für die Einladung danke ich und frage als Erstes: Auf welcher Faktenbasis wollen Sie sich über Kosten und Finanzierung zu Stuttgart 21 informieren? Könnte es sein, dass die Landeshauptstadt als Projektpartner demnächst in ein nicht finanziertes Milliardenloch der hoch verschuldeten Deutschen Bahn AG hineingerissen wird, obwohl man jetzt noch sinnvoll umsteigen könnte?

Wie werden Sie Ihrer Verpflichtung nach § 77 GemO zur sparsamen und wirtschaftlichen Haushaltsführung entsprechen?

Zur Klärung der Faktenbasis will ich nun beitragen.

1. Sie haben den Antrag abgelehnt, den Sachverständigen Dr. Vieregg anzuhören. Ihn zeichnet aus, dass er bereits 2008 richtig lag, als er für S 21 nach damaligem Sachstand 6,9 Milliarden Euro an Kosten prognostizierte. Vor allem rechnet er nach bewährter Methode, indem er zur Einbeziehung von Unvorhergesehenem vergleichend die Kosten bei fertig gestellten Projekten heranzieht. Sein Ergebnis 2016 für Stuttgart 21 von 9,8 Milliarden Euro und der renommierte Ruf des Sachverständigen wiegen schwer. Umso mehr, als sich mit den Vorschlägen für den Umstieg 21 laut der Ihnen übermittelten Broschüre und weiterem Gutachten über sechs Milliarden Euro einsparen lassen – siehe die Folie.

2. Allerdings beharrt die Deutsche Bahn AG darauf, sie werde den 2013 von ihr auf 6,5 Milliarden Euro erhöhten Finanzrahmen einhalten. Doch das ist aus folgenden Gründen unglaubwürdig:

a) Wie Sie wissen, setzte der Finanzierungsvertrag der Projektpartner vom 2.04.2009 eineKostenobergrenze von 4,526 Milliarden Euro voraus, in denen 1,45 Mrd. Euro Risikopuffer enthalten waren. Viel beschworen war dies die Basis der Wirtschaftlichkeit des Projekts und der Volksabstimmung, obwohl es den veralteten Kostenstand von 2004 spiegelte.

b) Bahnchef Rüdiger Grube ließ darum noch 2009 die Kosten neu ermitteln. Das Ergebnis 4,979 Mrd. Euro hätte vertragsgemäß die Kündigung des Projekts auslösen können, also senkte man die Summe um „Einsparpotentiale“ von 891 Mio. Euro.

c) Projektleiter Hany Azer warnte anschließend den Konzern vor 121 Risiken, wurde aber ignoriert und entlassen.

d) Im Dezember 2012 musste die Bahn eingestehen, dass sie schuldhaft 1,1 Milliarden Euro nicht kalkuliert hatte, bestehend aus 610 Mio. Euro „notwendigen, aber nicht budgetierten Leistungen“ in Höhe und 490 Mio. Euro „nicht realisierbare Planansätze“. Hinzu kamen weitere 1,2 Mrd. kalkulierbare Risiken. Insgesamt ergab dies eine Überschreitung der Kostenobergrenze des Finanzierungsvertrags um 2,3 Mrd. Euro.

e) Jetzt muss die Bahn im Juni 2016 zwei Jahre Bauzeitverzögerung und Kostenverbrauch bis 6,511 Milliarden Euro eingestehen. Die letzten sieben Jahre betrug die Kostensteigerung auf Faktenbasis der Bahn 3,4 Mrd. Euro, die gleiche erwartete Bauzeit mit 15 Mio. Euro auszukommen, ist schlicht unseriös und nicht glaubwürdig.

3. Umso mehr gewinnen nun zur Klärung der Faktenbasis die Berichte des Bundesrechnungshofs (BRH) Bedeutung. Diesem unabhängigen Verfassungsorgan kommt ein denkbar hoher Rang zu. Unzutreffend war es, Herr Sturm, dem BRH eine veraltete Tatsachenbasis zu unterstellen, denn die neueren Stellungnahmen des Bundesverkehrsministeriums und der Deutschen Bahn sind in der abschließenden Beurteilung einbezogen.

Der Bundesrechnungshof beanstandet die fehlende ausreichende Kontrolle der Gesamtfinanzierung des Projekts und erklärt anhand des haushaltsrechtlich ausgeprägten Wirtschaftlichkeitsprinzips, es verbiete sich für den Bund, finanziell nicht abgesicherte Projekte zu fördern. Das muss nicht minder für Stadt und Land gelten, denn beide sind haushaltsrechtlich zur sparsamen und wirtschaftlichen Haushaltsführung verpflichtet.

4. Wer trotz dieser Faktenlage S 21 einfach weiterlaufen lässt, muss wissen: Eine Investitionsruine oder die bittere Notwendigkeit, eine Bauruine durch eigene Zahlungen in Milliardenhöhe abzuwenden, träfen Stadt und Land massiv, und die Verschwendung von Milliarden Steuergeldern ist nicht nur verwerflich. Die Zweckentfremdung von Haushaltsmitteln kann auch strafrechtlich den Vorwurf der Haushaltsuntreue begründen. Daher sind Sie auch als Sachwalter der städtischen Finanzen gefragt und sind dazu verpflichtet einzuschreiten. Das Treiben-Lassen in eine Zwangslage, in der die Bahn nicht mehr zahlen will und prozessieren muss, wie im Lenkungskreis letzte Woche heftig diskutiert wurde, würde das Vermögen auch der Stadt Stuttgart strafrechtlich relevant gefährden.

5. Ist S 21 also finanziell ungesichert?
Genau dies erklärt der Bundesrechnungshof, indem er insgesamt rund 9,6 Mrd. Euro Projektkosten feststellt - exakt das Doppelte dessen, was die Bahn bisher seit 2009 für wirtschaftlich noch vertretbar erklärt hatte. Wie erklärt sich die Differenz von über drei Milliarden Euro Mehrkosten? Dazu nennt der BRH auf S. 6-11 seines Berichts:

- 600 Mio. Euro Mehrbedarf für Nachtragsrisiken, bei deren Nichteinbeziehung die Bahn von eigenen Erfahrungswerten abweicht, weshalb diese Kosten als unvermeidlich gelten müssen – übrigens hatte PwC schon im Januar 2013 für den Bahn-Aufsichtsrat darauf hingewiesen (deren Gutachten Nr. 24)

- 130 Mio. Euro für fälschlich angenommene Einsparungen für dünnere Tunnelwände - laut BRH werden sie durch höheren Sicherungsaufwand von 144 Mio. Euro je Planfeststellungsabschnitt übertroffen

- 300 Mio. Euro Mehrkosten für eine Zeitverzögerung von zwei Jahren – das ist die gegenwärtige Faktenbasis der Bahn - wegen ungeklärtem Brandschutz, Rettung, Entrauchung im Tiefbahnhof und Verzögerungen auf den Fildern – laut SZ wird dieses Terminrisiko auch von KPMG gesehen, ohne es jedoch rechnerisch einzubeziehen

- 524 Mio. Euro von der Bahn „eingesparte Gegensteuerung“ weist der BRH als vage, nicht genehmigt und nicht realistisch zurück. Mit gleicher Methode hatte die Bahn 2009 bereits 891 Mio. Euro irreale Kostenersparnisse abgezogen und Stadt und Land damit über drei Jahre lang irregeführt

- Je über 100 Mio. Euro weitere Kostenrisiken für zentrale Baulogistik, für Schlichtung und Filder-Dialog sowie zu niedrig angesetzte Preissteigerungen ergeben laut BRH – die vorstehenden Positionen einbezogen

- Weitere 200 Mio. Euro Einsparungen beim Neubau des Abstellbahnhofs Untertürkheim und beim Standard ETCS hält der BRH entgegen der Bahn für nicht realisierbar, so dass sich die Projektkosten auch um diesen Betrag erhöhen und bis hierhin auf über 8,1 Milliarden Euro steigen werden.

- Schließlich rechnet der BRH Kosten hinzu, die bisher S 21 nicht angelastet wurden, aber den Bundeshaushalt belasten: Das sind Herstellungskosten für Bauzeitzinsen von 1 Mrd. Euro sowie knapp 500 Mio. Euro nicht aufgeschlüsselter Kosten, so Einnahmeverzicht für die Überlassung bahneigener Grundstücke, bisher nicht erfasste Rückbaukosten für das Gleisvorfeld, Verzugszinsen für die verspätete Freimachung an die Stadt Stuttgart zu übergebender Bauflächen und anderes : Dagegen wendet die Bahn ein, diese Kostenbelastung könne die Projektpart-ner nicht betreffen. Der BRH betrifft blickt allerdings auf den Bundeshaushalt, der durch S 21 belastet mit 9,6 Mrd. Euro belastet würde. Auch die andere Kostenermittlung von Dr. Vieregg mit 9,8 Mrd. Euro hat einen hohen Stellenwert. Addiert man von BRH und Vieregg angenommenen Mehrbelastungen kommt man auf Projektkosten von 11 bis 12 Milliarden Euro.

- Selbst wenn man aber mit der Sichtweise der Bahn die Bauzeitzinsen und einzelne noch unklare Positionen zunächst nicht ansetzen würde, hätten die Projektpartner mindestens Projektkosten von 8,1 bis 8,5 Milliarden Euro zu tragen.

Hinzu kommt: Der Weiterbau-Beschluss der DB AG vom März 2013 hat nur einseitig den Finanzrahmen um zwei Milliarden Euro auf 6,526 Mrd. Euro erhöht, dies aber an die Bedingung gekoppelt, die Projektpartner nötigenfalls auf anteilige Zahlung der Mehrkosten zu verklagen.

Fazit:
Die Finanzierung von Stuttgart 21 ist jedenfalls oberhalb des Kostendeckels von 4,5 Mrd. Euro für zwei Milliarden wegen Klageandrohung der Bahn und für mindestens weitere 1,6 bis zwei Milliarden wegen Projektkosten zwischen 8,1 bis 8,5 Mrd. Euro ungesichert.

Der Bahn-Vorstand und deren Aufsichtsrat setzen sich dem Vorwurf der Untreue aus, wenn sie trotz Kenntnis der vom BRH festgestellten Fakten und des Vieregg-Gutachtens nicht auf einen Umstieg aus S 21 einlenken.

Und die Stadt Stuttgart setzt sich gegenüber der Bürgerschaft dem Vorwurf der treuwidrigen Gefährdung der Haushaltsmittel aus, wenn sie das insgesamt nicht finanzierte Projekt S 21 dennoch fördert. Das gilt umso mehr, als die Stadt sich mit einem „Weiter-So“ gegen das Verbot  widersprüchlichen Verhaltens („venire contra factum proprium“) verstößt. (Zwar ist die „Sprechklausel“ des FinV keine Zahlklausel, aber das Verhalten und Wissen zählt). Zu Deutsch: Wenn ich die Fakten kenne und mitmache, riskiere ich, für daraus entstehende Schäden mit zu haften.

Offenbar „glauben“ allerdings einige Projektbefürworter deshalb so sehr an die Kostenprognose der Deutschen Bahn AG, um einer Mithaftung für Mehrkosten des Projekts zu entgehen. Das entspräche einer Vogel-Strauß-Politik. Ein Gericht würde das sicher nicht gelten lassen.

6. Erschwerend kommt hinzu: PwC stellte bereits 2013 im Einklang mit dem jetzigen BRH-Bericht fest, dass die Kostenberechnung der Bahn gegen die „Grundsätze des Risikomanagements im DB-AG-Konzern“ verstoße (vgl. Nr. 18) und insbesondere die Risiken nicht regelkonform nach ihrer Eintrittswahrscheinlichkeit abgebildet seien. Schließlich entlastet das geheime KPMG-Gutachten die DB AG nicht: So werden Bedenken gegen die Risikoeinschätzung der Bahn nicht quantifiziert. Außerdem hat KPMG laut Volker Kefer nur auf der Zahlenbasis der Bahn gerechnet, so dass nur herauskommen konnte, was die Bahn hereingegeben hatte.

7. Bedeutsam ist: Der BRH nennt auch schwerwiegende Kostenrisiken, die sich aus Funktionsmängeln des Projekts ergeben können, so eine zu geringe Kapazität des Bahnknotens, der eine „kostenintensive Aufrüstung“ erfordern könne. Wer also kostenintensive Zulaufstrecken zu S 21 fordert, sollte beachten, dass sie den Engpass des Tiefbahnhofs ausgleichen sollen und daher die Projektkosten der Bahn noch erhöhen müssen. Und wegen der mit über 15 Promille sechsfach überhöhten Gleisneigung des Tiefbahnhofs stellt der BRH die Betriebsgenehmigung in Frage. Hier wie beim Brand- und Behindertenschutz ist dem BRH zu danken, dass er klar macht, welche Kosten und Risiken einzusparen sind, wenn der Tiefbahnhof nicht weitergebaut wird.

Dazu sei hingewiesen auf einen gesellschaftlichen Grundkonsens zum Schutz von Leib und Leben der Mitmenschen. Nach dem Grundgesetz fordern diese Grundwerte zwingend den vorbeugenden Gefahrenschutz.

Wie sich dieser Gefahrenschutz im Tiefbahnhof sichern lässt, erscheint ungelöst, so dass auch deshalb Alternativen zu S 21 im Sinne des Umstiegs zu prüfen sind.

8. Schließlich ist es ja richtig, dass der Bahn-Vorstand und der Bahn- Aufsichtsrat ihre hohe Verantwortung für das Projekt wahrnehmen müssen, wenn erneut in vier Wochen über S 21 zu entscheiden ist. Dennoch sind Sie für die Stadt Stuttgart als Projektpartner mit verantwortlich. Dafür sind die Ihnen übermittelten Fakten zu den Projektkosten wesentlich, damit Sie sich von der Lage überzeugen und Konsequenzen ziehen können. Bewegen sich die nächsten Wochen weder die Projektpartner noch der Bahn-Aufsichtsrat, hätte dies vermutlich schwerwiegende Folgen.

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