Mit Palmöl in die Klimakatastrophe – die Preispolitik der Deutschen Bahn

Rede von Michael Becker, Kernen 21, auf der 595. Montagsdemo[1] am 10.1.2022

Guten Abend!

Dass die DB auf der Ausgabenseite mit ihren Prestigebauten dem Klimaschutz oft keine Rechnung trägt, ist beschämend, und wird von uns immer wieder kritisiert. Allem voran der Bahnhofsrückbau Stuttgart 21 mit seiner Schnellbahnstrecke nach Ulm, auf der praktisch keine Güterzüge fahren können – eine Reduktion des Güterverkehrs auf der Straße wird hier quasi ausgeschlossen.

Oder das Projekt Frankfurt 21: geplant werden zwei zusätzliche unterirdische Gleise zum bestehenden Kopfbahnhof – im Ergebnis wenige Minuten Fahrzeitgewinn für viel, beim Bau emittiertem Kohlendioxid – mal ganz davon abgesehen, dass die Entlastung des bestehenden Hauptbahnhofs in Frankfurt erst eintreten wird, wenn die Kipppunkte der Klimaüberhitzung längst überschritten sind. Dazu die Erweiterung der Stammstrecke München, die mit gigantischem Aufwand zwei zusätzliche Tunnelröhren durch die Innenstadt treibt, statt bestehende Strecken im Ring zu verwenden. Oder der Bahnhof Diebsteich in Hamburg – ein echter Diebesstreich, bei dem der innerstädtische Bahnhof Altona stillgelegt und die frei werdende Fläche der Immobilienmafia zugeführt wird, und der neue Bahnhof an den Stadtrand abgeschoben werden soll. Ebenso die geplante Hochgeschwindigkeitsstrecke Hannover-Bielefeld, die mit avisierten 300 km/h viel zu viel Energie verbraucht, sowie der Anschluss an den Fehmarn-Belt-Tunnel.

Alles Beispiele für Fehlinvestitionen. Aber leider wird die Bahn auch auf der Einnahmenseite mit ihrer Preispolitik den Anforderungen an eine klimagerechte Entwicklung nicht gerecht. Das Preissystem der Bahn ist undurchschaubar ungerecht und insgesamt nicht dienlich, umweltschädlichen Auto- und Luftverkehr auf die Schiene zu lenken. Dabei verzichtet die Bahn auf der einen Seite auf Einnahmen, die dringend benötigt werden für den Betrieb und Erhalt der Infrastruktur, und lässt auf der anderen Seite viele Fahrgäste bei den zahlreichen Rabattaktionen außen vor.

Ein Beispiel: Max und Erika Mustermann wollen mal wieder nach Berlin ins Museum. Da sie nicht wissen, ob die Museen nicht Corona-bedingt wieder geschlossen werden, haben sie sich von Stuttgart aus ein Flexticket – Bahnsprache für eine ganz normale Fahrkarte – am Schalter gekauft, Kostenpunkt 143,60 Euro pro Person. Monika und Peter Reiselustig, deren „Bitte keine Werbung einwerfen“-Bäbber auf dem Briefkasten über die Jahre verblichen ist, haben in einem Prospekt eines Discounters entdeckt, dass diese Woche bundesweit geltende Bahntickets für 25 Euro verkauft werden, und haben zugeschlagen. Max und Erika guckten zerknirscht, als ihnen ihre Sitznachbarn auf der Fahrt nach Berlin davon erzählten. Dass es sowas gibt, haben sie nicht mitbekommen.

Durch den kurzen Zeitraum, in dem die Fahrkarten im Supermarkt verramscht werden, und die sehr große Preisdifferenz, bieten Tickethändler diese Discountertickets auf Internetplattformen danach für das Doppelte und Dreifache zum Verkauf an und streichen den Gewinn ein, den der Bahn an dieser Stelle leider entgeht. Eingeweihte Reisefüchse nutzen diese Tickets natürlich auch, sodass die Bahn insgesamt in dem Aktionszeitraum weniger an ihren normalen Tickets verdient, sich also selbst unterbietet, welch ausgemachter Blödsinn! Und es geht noch blöödsinniger: merken sie sich, was das Flexpreisticket kostet: 143,60 Euro, das Discounter-Ticket: 25 Euro.

Michael und Anke Pfennigfuchser, zwei ausgemachte Kulturliebhaber aus dem pietistischen Remstal, wollen auch nach Berlin, sind aber nicht bereit, 25 Euro für die Fahrkarte auszugeben, schließlich kosten die Museen, die Postkarten und das Hotel in Berlin ja auch noch Geld. Von einer der leeren Schoko-Riegel-Schachteln, die von der Geburtstagsfeier eines Enkels übrig geblieben war, springt ihnen das Bild von einem ICE, daneben ein 10 Euro-Rabatt-Versprechen ins Gesicht. Sie lesen auf der Rückseite die Beschreibung und stellen fest, dass, wenn sie ihr Ticket online buchen, sie bei einem Fahrkartenpreis von mindestens 29,90 Euro mit diesem E-Coupon – Bahnsprache für einen 8-stelligen Rabatt- Zahlencode – 10 Euro vom Fahrkartenpreis abgezogen bekommen. Um möglichst viel vom Tag in Berlin ausnutzen zu können, wählen sie den ICE 698, der ist um acht Uhr in der Früh an der Spree und kostet, dank der geringen Nachfrage im Super-Sparpreis nur 35,80 Euro für die beiden – halt, schnell noch die beiden E-Coupon-Codes eintippen, und schon sind es zweimal 10 Euro weniger, macht summa summarum 7,90 Euro pro Person! Max, Erika und diesmal auch Monika und Peter gucken zerknirscht, als sie mit Michael und Anke zufällig bei einer Currywurst in der Friedrichstraße ins Gespräch kommen.

Doch zerknirscht gucken sollten wir jetzt alle, denn diese Schnäppchen haben einen Preis, sie sind nicht nachhaltig. Dieser Preis deckt nicht die Kosten für den Bahnbetrieb und führt am Ende zum Ruin des gesamten Schienenverkehrs. Diese E-Coupons lassen sich nur auf Online-Tickets anwenden. Wer sein Ticket am Automaten oder Schalter kauft, zahlt die Tickets der Schnäppchenjäger mit.

In den letzten Jahren hat die Deutsche Bahn meines Wissens – bis auf zwei Ausnahmen – für diese E-Coupon-Rabattaktionen immer Schokoriegel-Hersteller als Partner gewählt, deren Produkte überwiegend aus Mehl, Zucker und Palmöl bestehen. Und das ist geradezu grotesk! Um in Deutschland günstig mit dem klimafreundlichen Verkehrsmittel Bahn fahren zu können, muss ich mir Zahlencodes von palmölhaltigen Schokoriegeln ausschneiden, für dessen Anbau in Südost­asien der Regenwald abgeholzt wird, eines der größten Verbrechen am Weltklima. Leider verbraucht die Bahn auch im Betrieb viel Palmöl, da nur rund 60% des Schienennetzes elektrifiziert sind und das Beimischen zum Diesel, mit denen die Loks auf den nicht elektrifizierten Strecken fahren, in der EU noch einige Jahre erlaubt ist. Die beiden Ausnahmen waren übrigens einmal ein Online-Bezahldienst und das andere Mal ein Hersteller von zuckrig bunten Gelatine-Produkten aus der ehemaligen Bundeshauptstadt, auch nicht viel besser, zumindest nicht für die Zähne.

Fazit: Ein Preisgefüge, bei dem ein und dieselbe Strecke eine Preisspanne vom 20fachen, je nachdem wie informiert die KundInnen sind, betragen kann, ist für eine Dienstleistung der Daseinsversorge, dem öffentlichen Personenfernverkehr, nicht nachvollziehbar und ist unzumutbar.

Hier ist auch die Bundesregierung als Eigentümerin der Deutschen Bahn AG und als Verantwortliche für die Erreichung der Klimaziele gefordert. Diesem Treiben muss Einhalt geboten werden. Für die Bahn muss ein sinnvolles Preissystem etabliert werden, das allen KundInnen offen steht, unabhängig davon, wann, wo und wie die jeweiligen Fahrkarten gekauft werden.

Dass dies geht, hat uns unser Nachbarland Österreich vorgemacht und im vergangenen Oktober ein Klimaticket eingeführt. Das Ticket kostet 1095 Euro, gilt ein ganzes Jahr und berechtigt zur Fahrt in allen öffentlichen Verkehrsmitteln. Ich fordere statt kurzfristigen Rabattaktionen für Wenige ein dauerhaft günstiges Klimaticket Deutschland für alle! Zum Teil wird sich dieses Ticket durch die steigende Nachfrage selbst finanzieren, notwendig sind aber auch weitere flankierende politische Maßnahmen. So sollten alle Investitionen und Subventionen in die klimaschädlichen Verkehrsträger wie Kraftfahrzeuge und Luftfahrt gestoppt und umgelenkt werden.

Bei den gegebenen politischen Verhältnissen ist damit allerdings kaum zu rechnen. Solange das Bundesverkehrsministerium von einer Autolobbyisten-Partei geführt wird, und in Baden Württemberg ein grüner Verkehrsminister den Weiterbau von Stuttgart 21 forciert, ist eine echte Verkehrswende nicht in Sicht… Dass wir richtig liegen, hat uns ja das Bundesverfassungsgericht im letzten Jahr mit seinem Urteil zum Klimaschutzgesetz bestätigt, und richtig liegen heißt: dran bleiben und – Oben Bleiben!

[1] ab 6.12.2021 wegen Corona-Pandemie jeweils Montags, 18 Uhr, wieder online:
https://www.parkschuetzer.de/videos/

Rede von Michael Becker als pdf-Datei

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