Gemeinsam gegen rechts ­– für eine bessere Demokratie

Rede von Joe Bauer, Journalist und Stadtflaneur, auf der 679. Montagsdemo am 9.10.2023

Schönen guten Abend, verehrte Protestgemeinde,

es wird kühler in der Stadt. „Eines Morgens riechst du den Herbst“, hat Tucholsky geschrieben. „Es ist noch nicht kalt; es ist nicht windig; es hat sich eigentlich gar nichts geändert – und doch alles.“

Tucholskys letzter Satz sollte uns zu denken geben: „Es hat sich eigentlich gar nichts geändert – und doch alles.“ Damit meine ich erst mal nicht das Bau- und Klimakiller-Monster Stuttgart 21. Ich rede vom politischen Klimawandel in unserer Gesellschaft. Viele nehmen immer noch nicht wahr, wie die Errungenschaften der Demokratie angegriffen werden – und alles in diesem Land und in vielen Teilen der Welt anders werden wird, wenn die demokratischen Kräfte nicht jetzt und heute dagegen halten.

Liebes Protestpublikum, in den vergangenen Jahren hab ich ja öfter mal etwas auf einer Kundgebung gegen Stuttgart 21 gesagt. Und meistens, die Jüngeren unter euch erinnern sich noch, war ich so unverschämt, gar nicht über den Bahnhof zu sprechen. Mir ging es um die Zustände, in denen sich die politischen Machenschaften rund um ein milliardenschweres Immobilienprojekt spiegeln.

Hinzu kommt: Denke ich an die deutsche Eisenbahn, erinnert sie mich auch an ihre, an unsere Geschichte, an die dunkelsten Seiten der Vergangenheit. Wie die deutsche Reichsbahn die Nazis bei ihren Massenmorden und dem Holocaust unterstützt hat. Das gilt selbstverständlich nicht für die Eisenbahner, die damals mutig Widerstand geleistet haben.

Immer wenn man sich mit einem Thema etwas intensiver beschäftigt, erkennt man unweigerlich historische, politische Zusammenhänge. Und die sogenannte Erinnerungskultur nützt überhaupt nichts, wenn sie nicht auch an unsere Gegenwart erinnert. Wenn sie uns nicht die Augen dafür öffnet, warum Vergangenes nicht vergeht.

Schon in früheren Beiträgen auf Kundgebungen gegen Stuttgart 21 habe ich immer wieder auf die Feinde der Demokratie, auf die Bedrohung von rechts aufmerksam gemacht. Das gefiel nicht allen, und manchmal erhielt ich Mails mit dem freundlichen Hinweis, bei Stuttgart-21-Demos habe mein Antifa-Kram nichts zu suchen.

Das sehe ich anders. Jede Initiative, jede Bewegung, die sich für demokratische Rechte und soziale Gerechtigkeit einsetzt, hat in meinen Augen die verdammte Pflicht, sich gegen die Angriffe auf die Demokratie zu wehren. Gegen die Rechtspopulisten, gegen die Völkischen, gegen die Nationalisten, gegen die Rassisten, gegen die Antisemiten, gegen die Nazis der Gegenwart. Und das heißt: Ein demokratisches Bündnis, wie dies hier gegen Stuttgart 21, muss naturgemäß auch antifaschistisch und antirassistisch sein.

Zurzeit erleben wir in der Geschichte der Bundesrepublik die größte Bedrohung von extrem rechts. Und die schlägt sich keineswegs nur in den Umfragewerten und Wahlergebnissen für deren parlamentarischen Arm nieder. Wir leben inzwischen in einem Klima, in der die totale Enthemmung zum Alltag gehört. Rassistische Beleidigungen, üble Angriffe auf demokratische Politikerinnen und Politik werden nicht nur verbal ausgeübt. In Wahlkämpfen werden Steine auf sie geworfen.

Und wenn heute viele etwas gegen die Grünen haben, etwa als enttäuschte Gegnerinnen und Gegner von Stuttgart 21, dann müssen wir trotzdem begreifen: Unsere wahren Feinde sind die, die mit faschistischen Umtrieben die Demokratie abschaffen wollen. Was nicht heißt, dass wir kein Recht auf Protest gegen herrschende Verhältnisse und herrschende Politik haben.

In kleinem Kreis, zu dem auch Tom Adler vom Orga-Team der Montagsdemos gehört, haben wir vor Kurzem eine Stuttgarter Initiative gestartet, die in der Stadt und in der Region ein Netzwerk gegen rechts aufbauen will. Zu diesem Zweck haben wir kulturelle Institutionen und politische Initiativen um solidarische Mitarbeit gebeten. Die Resonanz ist bisher ziemlich gut. Unterstützung kommt etwa vom Kunstmuseum hier in der Nachbarschaft, aus den Staatstheatern, wie immer bei solchen Dingen vom Württembergischen Kunstverein – und die Kooperation reicht bis zu den Fanprojekten von VfB Stuttgart und Stuttgarter Kickers.

Unser Ziel ist es, so viele Kontakte wie möglich zu knüpfen und Brücken zu schlagen. Brücken, die über parteiliche und ideologische Grenzen hinweg gebaut werden müssen. Am kommenden Samstag um 14 Uhr machen wir hier auf dem Schlossplatz eine Kundgebung unter dem Motto: „Gemeinsam gegen rechts. Für eine bessere Demokratie“. Die Forderung „Für eine bessere Demokratie“ steht für eine Politik der Gerechtigkeit und Umverteilung. Eine Politik, die den Nährboden der Rechten ausdünnt und nicht weiter befruchtet.

Unsere Aktion soll keine einmalige Sache bleiben. Vielmehr betrachten wir die Kundgebung als Auftakt für unser Vorhaben, Stuttgarter Institutionen und Initiativen besser zu vernetzen – und in Zukunft Veranstaltungen zur politischen Fortbildung und Information zu organisieren.

Wir müssen uns wehren gegen die Abschaffung demokratischer Errungenschaften und die Missachtung der Menschenrechte. Die Gefahr von extrem rechten Kräften wird immer noch sträflich unterschätzt. Vor allem hierzulande: trotz aller grausamen Faschismus-Erfahrungen. Das gesellschaftliche Klima wird immer rauer und übler. Widerwärtige rassistische und menschenverachtende Sprüche, die Diskriminierung von Benachteiligten werden inzwischen als völlig normal empfunden. Wenn sich die demokratischen Kräfte nicht über parteiliche und ideologische Grenzen hinweg verständigen und zusammentun, werden auf kurz oder lang die Faschisten siegen.

Die demokratiefeindliche Bedrohung ist ein weltweites Problem – und es wäre sehr naiv, immer nur auf Zahlen bei Wahlen zu starren. Auch rechte Minderheiten reichen, um mit gezielten Desinformationen ein Klima der Verunsicherung, des Hasses und der Hetze zu verbreiten. Viele Konservative helfen dabei kräftig mit, indem sie rechte Politik kopieren und die Sprache der Rechten nachäffen. Zahnarztwitze mit Blick auf den Brandstifter Merz erspare ich mir an dieser Stelle. Wer die AfD wählt oder als eine Alternative sieht, und sei es auch nur aus kindischem Trotz, der unterstützt eine Lügenpartei, deren Politik sich gegen die Schwachen und Benachteiligten richtet. Diese Partei ist für die Reichen. Und dieser faschistische Verein bekämpft demokratische Rechte, die von Demokratinnen und Demokraten erkämpft wurden.

Wir können diesen Angriffen nur mit solidarischer Zusammenarbeit begegnen. Solidarität bedeutet, zusammen etwas zu tun. Die Geschichte hat es uns gelehrt: Wenn die demokratischen Kräfte sich untereinander bekriegen, wenn wir uns nicht zusammentun, werden wir gegen die Rechten verlieren. Berührungsängste, etwa gegenüber Antifa-Bündnissen sind falsch. Überall werden Fehler gemacht, das darf uns nicht hindern, mit den guten, mit den engagierten Leuten gemeinsame Sache zu machen. Und diese Offenheit muss auch gegenüber jenen Konservativen herrschen, die eine humanitäre Haltung haben und bereit sind, gegen die Rechten und deren Gefolgschaft aus der sogenannten Mitte zu kämpfen.

Wir brauchen für Aktionen gegen die Demokratiefeindlichkeit einen Waffenstillstand zwischen Linken, Linksliberalen, Grünen, Bürgerlichen, die bereit sind zur Verteidigung der Menschenrechte. Und selbst wenn die Herrschenden in Regierungen diese Rechte abbauen, heißt das ja nicht, dass es in ihren Parteien nicht auch Leute gibt, die sich ihre demokratische Gesinnung bewahrt haben.

Deshalb zielt unsere Netzwerk nicht so sehr auf die Unterstützung ganzer Organisationen, sondern auf diejenigen in Organisationen, die begriffen haben, dass wir etwas tun müssen. Gemeinsam gegen rechts. Für eine bessere Demokratie! Noch haben wir nicht verloren, so wahr der demokratische Protest gegen Stuttgart 21 weitergeht. In diesem Sinne: Auf der Straße bleiben!

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