Finanzierung Stuttgart 21: Linke Tasche leer, rechte Tasche leer

Rede von Dieter Reicherter, Vorsitzender Richter am Landgericht a.D., Sprecher des Aktionsbündnisses gegen Stuttgart 21, auf der 768. Montagsdemo am 11.8.2025

Liebe Freundinnen und Freunde des Kopfbahnhofs!

Der Verwaltungsgerichtshof hat die Berufung der Deutschen Bahn und ihrer Tochterunternehmen gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom Mai 2024, wonach die Bahn alle Mehrkosten von Stuttgart 21 selbst tragen muss, nicht angenommen. Der Beschluss wurde damit begründet, dass die Sache nicht besonders schwierig sei. Der VGH hat der Bahn sogar bescheinigt, dass sie das Projekt hätte abbrechen dürfen und das also immer noch darf. Mich persönlich gefreut hat die Feststellung, das Urteil des Verwaltungsgerichts zeichne sich durch „besondere Sorgfalt“ aus. Das ist ein hohes Lob für den Vorsitzenden Kern, dem ich mich nur anschließen kann.

Wolfgang Kern hat mir übrigens persönlich geantwortet und sich bedankt, als ich ihm geschrieben hatte, dass die Bahn im Prozess die Unwahrheit vorgetragen hatte. Sie hatte behauptet, erst Anfang 2013 seien ihr die drohenden Mehrkosten bekannt geworden. Denn wenn die Bahn schon 2012 Kenntnis von den Mehrkosten gehabt hätte, wären Zahlungsansprüche verjährt gewesen. Dass dieser Prozessvortrag falsch war, konnte man insbesondere einem internen Vermerk des Bundeskanzleramts für die damalige Bundeskanzlerin Merkel entnehmen. Demnach war das Debakel schon im Dezember 2012 dem Bahnvorstand bekannt.  Unser lieber Eisenhart von Loeper hatte auf Zugang zu den entsprechenden Vermerken des Bundeskanzleramts geklagt und Recht bekommen. Er hat mir diese Protokolle zur Verfügung gestellt, die ich dann dem Verwaltungsgericht zuleitete. Jetzt sind sie in der Gerichtsakte und Vorsitzender Kern hat die Unterlagen auch an die Verfahrensbeteiligten übersandt.

Nun steht also rechtskräftig fest, dass die Bahn alle Mehrkosten alleine tragen muss. Dass sie 7 Milliarden Euro bezahlen muss, hat den Bahnvorstand völlig überrascht, wie man der Zeitung entnehmen konnte. Dazu ein Blick in die Bilanzen: Der Umsatz der Deutschen Bahn AG, also des Mutterunternehmens, betrug im ersten Halbjahr 2025 13,3 Milliarden Euro, und der Konzern machte in der Zeit 760 Millionen Verlust. Die Mehrkosten von Stuttgart 21 sind also der Umsatz eines Vierteljahres. Man kann sie auch mit dem Eigenkapital der Aktionäre der Deutschen Bahn vergleichen. Das beträgt 15.114 Millionen, also gerade mal das Doppelte dieser Mehrkosten. Noch deutlicher wird es beim Blick auf den Umsatz der DB InfraGo, dem für Stuttgart 21 zuständigen Tochterunternehmen. Deren Umsatz im vergangenen Jahr betrug 8.360 Millionen, also nicht viel mehr als diese Mehrkosten.

Schon anhand dieser Zahlen kann man ermessen, was die Entscheidung für die Bahn bedeutet. Irgendwoher muss das Geld kommen. Ob nun die Ticketpreise erhöht werden (früher oder später kommt das sowieso), Investitionen gestrichen werden und das Netz weiter verlottert oder die Bundesrepublik als Alleineigentümer zuschießt, ist ziemlich egal. Letztlich geht es nur darum, ob Steuerzahlerinnen und Steuerzahler und/oder Bahnreisende für die Verantwortungslosigkeit von Topleuten bezahlen müssen. Das wird auch zulasten anderer Projekte in ganz Deutschland gehen. Dies nennt man Kannibalisierung.

Einen Einsparungsvorschlag haben wir auf alle Fälle: Sowohl der Pfaffensteigtunnel als längster Eisenbahntunnel Deutschlands wie auch der Nordzulauf und andere Zusatzprojekte zu Stuttgart 21 sind unnötig und Geldverschwendung, dazu verbunden mit Baustellenärger über Jahrzehnte und Klimasünden. Sie müssen gestrichen werden. Die Planungen sind unverzüglich einzustellen.

Von den verklagten Projektpartnern kamen prompte Reaktionen. Man hatte den Eindruck, sie hätten immer schon gewusst, dass sie nichts nachschießen müssen. Winfried Kretschmann hatte ja auch erklärt: „Mir gäbbet nix.“ Aber so klar war die Prozesslage nun auch wieder nicht, was das Geheule in der Verhandlung letztes Jahr zeigte. Im Gerichtssaal bangte der Geschäftsführer des Flughafens, man werde zahlungsunfähig, falls man tatsächlich weitere 600 Millionen Euro bezahlen müsse. Denn nach der Finanzierungsvereinbarung hatte der Flughafen schon 340 Millionen sowie zusätzlich im Wert nicht definierte Bauwerke beigesteuert.

Nun habe ich eine Rechnung aufgemacht: Die Beteiligung des Flughafens fußt maßgeblich darauf, dass die Gäubahn über den Flughafen geführt werden soll. Man weiß außerdem, dass täglich etwa 50 Personen mit der Gäubahn zum Flughafen reisen, im Jahr also etwa 20.000 Menschen. Das sind etwa 0,2 % der jährlich 12 Millionen Fluggäste. Wenn man die Zahlung des Flughafens mit 340 Millionen Euro durch die 20.000 Benutzer der Gäubahn teilt, so kostet jeder Flugpassagier 17.000 Euro. Man kann natürlich diese Zahl durch 100 Jahre teilen – solange soll das Projekt halten, wer's glaubt wird selig. Dann kostet ein einzelner Fluggast nur noch 170 €.

Die Recherchen zum Flughafen haben mich noch auf eine weitere Idee gebracht: Das Luftschiff LZ 4 wurde auf dem heutigen Gelände des Flughafens am 5. August 1908 durch ein Gewitter vollständig zerstört. Das bedeutete einen Riesenaufschwung für Graf Zeppelin, denn das Unglück führte zur Zeppelinspende des deutschen Volkes und erbrachte 6 Millionen Goldmark. Die Bahn könnte doch jetzt eine derartige Sammlung zur Finanzierung von Stuttgart 21 starten.

Der Verband Region Stuttgart hatte sich mit einer Opfergabe von 100 Millionen Euro am Projekt beteiligt und sah sich plötzlich dem Risiko gegenüber, weitere 500 Millionen reinzubuttern. Nachdem ihm dieser Stein vom Herzen Europas gefallen ist, hört man von ihm als Betreiber der S-Bahn nicht viel zum ständigen Bahnchaos für die Menschen in der Region.

Die Stadt Stuttgart hat schon jetzt kein Geld mehr. Die Erschließungskosten für das Rosensteinquartier kann sie nicht aufbringen, ihre Schulen vergammeln und an den Sozialausgaben wird gespart. Dementsprechend groß war die Sorge ihres Prozessvertreters, man sei mit weiteren 1,3 Milliarden dabei. Gelernt hat die Stadt nichts. Der Größenwahn geht bei anderen Projekten wie Neubau Schleyerhalle und Interimsoper weiter.

Das bringt mich zum Bürgerbegehren. Dessen Ziel ist, die Bebauung des Geländes zu verhindern, auf dem sich die Kopfbahnhofgleise befinden. Das ist neben dem Europaviertel und nennt sich A2. Es geht also nicht um das eigentliche Rosensteinquartier. Leider wurde das im Bericht der Stuttgarter Zeitung über das Bürgerbegehren durcheinandergebracht. Aufgeschreckt wurden einige von Euch durch die irreführende Überschrift und teilweise falsche Aussagen zum Ziel des Bündnisses. Richtig ist, dass sich zur Durchführung des Bürgerbegehrens ein breites Bündnis gefunden hat. Angestoßen hat das unser Hannes Rockenbauch, dem ich dafür herzlich danke. Er hat die einmalige Chance nach der Gemeindeordnung erkannt. Demnach können die Bürgerinnen und Bürger Stuttgarts anders entscheiden als ihr Gemeinderat. Dieser hat keine Zuständigkeit, den Erhalt des Kopfbahnhofs zu beschließen. Folgerichtig richtet sich das Bürgerbegehren gegen die Entscheidung zur Aufstellung eines Bebauungsplans. Denn wenn eine spätere Bebauung des Kopfbahnhofsgeländes rechtlich ausgeschlossen ist, wird das Interesse der Stadt an der Zerstörung des Kopfbahnhofs beseitigt. Dann steigen die Chancen auf den Erhalt der Gleise und einen leistungsfähigen Bahnverkehr.

Dem Bündnis geht es also nicht um eine Verbesserung von Stuttgart 21, sondern darum, dass die Bebauung verhindert wird und der Kopfbahnhof erhalten bleibt. Das ist der von allen Verbänden mitgetragene Kompromiss. Mit der bloßen Forderung, Stuttgart 21 zu verhindern, hätte kein Bürgerbegehren gestartet werden können. Dass Ihr und wir als Aktionsbündnis selbstverständlich weitergehende Forderungen haben, ist klar und ändert sich dadurch nicht. Für uns ist ein Erfolg des Bürgerbegehrens und eines sich dann anschließenden Bürgerentscheids ein wichtiger Baustein, um den Erhalt des Kopfbahnhofs zu erreichen. Eine ähnliche Strategie hat sich schon bei der jetzt aufgeschobenen Gäubahnkappung bewährt. Es wird sich schnell erweisen, dass der Tiefbahnhof einem modernen Bahnverkehr nicht gewachsen ist und der Kopfbahnhof dauerhaft gebraucht wird. Oberstes Ziel muss deshalb die Bewahrung der Kopfbahnhofgleise und des Betriebs im Kopfbahnhof sein.

Ich betone also ausdrücklich, dass es uns um die Sicherung einer echten Alternative geht, nämlich den Erhalt des Kopfbahnhofs. Das haben wir immer gesagt und dabei bleibt es, nach innen im Bündnis zum Bürgerbegehren und auch nach außen in unseren öffentlichen Stellungnahmen. Bei dieser Gelegenheit will ich klarstellen, dass wir keinesfalls gegen den Bau von bezahlbarem Wohnraum sind. Nur ist die Bebauung des A2-Geländes wie auch des Rosensteinareals der falsche Weg. Das dauert noch Jahrzehnte und erschwingliche Mieten wird es dort nicht geben.

Übrigens: Sollte die Bahn wider jede Vernunft die Gleise herausreißen, würde durch einen erfolgreichen Bürgerentscheid trotzdem die Bebauung verhindert. Dann könnte man wenigstens stattdessen einen Park anlegen. Denn wie die derzeitige Hitze zeigt, darf es zu keiner weiteren Bodenversiegelung kommen. Ganz im Gegenteil muss alles getan werden, um eine noch stärkere Erhitzung des Stadtkessels zu verhindern.

Dem Aktionsbündnis und sicherlich auch allen Menschen in unserer Bewegung ist es wichtig, uns auszutauschen und freundschaftlich über den richtigen Weg zu diskutieren. Trotz aller Arbeit und Probleme haben wir dafür eine Möglichkeit gefunden. Ich darf heute ankündigen, dass wir am 20. Oktober nach der Montagsdemo im Forum 3 ein Bewegungstreffen veranstalten wollen. Dass dieser Termin direkt nach dem Fristende für das Bürgerbegehren liegt, ist ein Glückstreffer.

Und nun bleibt mir der Appell, Euch mit voller Überzeugung für das Bürgerbegehren einzusetzen und vor allem viele Unterschriften zu sammeln, damit wir

Oben bleiben!

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