Rede von Joe Bauer, Stadtflaneur und Journalist, auf der Demo zum 10jährigen Jahrestag des „Schwarzen Donnerstags“ am 30.9.2020
Es fällt mir etwas schwer, für all die Menschen hier dieser nach wie vor wichtigen Protestkundgebung die richtige Anrede zu finden. „Liebe Mitstreiterinnen und Mitstreiter“ klingt ein wenig hölzern. „Liebe Freundinnen und Freunde“ erscheint mir etwas pathetisch – und „liebe Leidensgenossinnen und Leidensgenossen“ wäre völlig daneben.
Wir demonstrieren hier und heute nicht irgendwelche Leiden oder Befindlichkeiten. Vielmehr zeigen wir hier auf der Straße unsere Leidenschaft für die Aktionen einer außerparlamentarischen Opposition, die zwingend notwendig sind. Nur mit diesem solidarischen Miteinander ist es möglich, über die undemokratischen Methoden einer profitorientierten, einer menschenfeindlichen Politik in dieser Stadt aufzuklären und sich dagegen zu wehren.
Damit mit großem Dank allen hier einen schönen guten Abend vor dieser Bahnhofsruine. An diesem Ort hat sich vor mehr als zehn Jahren die Bewegung gegen die Politik des Größenwahns und gegen die Vertuschung von Fakten formiert.
Eine Bewegung, die immer noch in Bewegung ist – und noch immer etwas bewegt.
Viele von euch erleben diesen Abend im Rückblick auf persönliche Erlebnisse durchaus bewegt. Angesichts des historischen Datums und der Erinnerungen an die Polizeigewalt in dieser Umgebung kommt da einiges hoch. Trauer und Zorn. Schlimme Bilder werden wach. Der Schwarze Donnerstag war der Donnerstag der Schande.
Ich selber halte nicht viel von unserer üblichen sogenannten Erinnerungskultur. Viele Rituale des Erinnerns und Gedenkens werden in der Absicht abgehalten, die Vergangenheit und ihre politischen Verbrechen mit Heucheleien für beendet zu erklären. Gerade so, als wären Ungerechtigkeit und Unmenschlichkeit für immer vorbei. Viel zu lange wurden alte Nazis abgehakt, als gäbe es keine neuen. Und heute sind sie überall. weiterlesen