Rede von Karlheinz Rößler, Verkehrsberater, auf der 523. Montagsdemo am 3.8.2020
Liebe Freundinnen und Freunde der oberirdischen Eisenbahn in Stuttgart,
wir rasen immer schneller der drohenden Klimakatastrophe entgegen, die durch die menschengemachte Erdüberhitzung als Folge des zu hohen Treibhausgas-Ausstoßes verursacht wird. Die Alarmzeichen sind nicht mehr zu übersehen:
Im arktischen Werchojansk in Sibirien herrschen seit Wochen Temperaturen von mehr als plus 30°C – der Spitzenwert lag im Juni 2020 bei 38°C. Bisher war dieses kleine Städtchen mit kaum mehr als 1.000 Einwohnern hingegen der Kältepol der Erde gewesen: Der Kälterekord betrug minus 67,8°C; die mittlere Jahrestemperatur lag hier früher bei minus 15,7°C. Doch durch den drastischen Temperaturanstieg taut inzwischen der Permafrostboden nicht nur in Werchojansk, sondern in der gesamten Arktis auf und setzt gigantische Mengen an CO2 und an Methan frei – letzteres ist 25-mal klimaschädlicher als Kohlendioxid.
Die Eisfläche am Nordpol war noch nie so klein wie diesen Sommer. Und 2020 wird wohl als das weltweit wärmste Jahr aller Zeiten – seit es überhaupt Temperaturaufzeichnungen gibt – in die Geschichte eingehen. Statt der bei der Klimakonferenz 2015 in Paris vereinbarten Obergrenze von 1,5°C für den Anstieg der weltweiten Durchschnittstemperatur bis 2100 rechnen Klimaforscher inzwischen mit einer um 4°C erhöhten Temperatur gegenüber der vorindustriellen Zeit. Das bedeutet langfristig, dass der Meeresspiegel um 40 Meter ansteigen wird: Die Bundeshauptstadt Berlin wird somit 10 Meter tief unter Wasser liegen, ganz Norddeutschland – ungefähr ein Drittel des deutschen Territoriums – wird dann vom Meer verschlungen sein.
Was würden vernunftbegabte und verantwortungsvolle Politiker angesichts dieser verheerenden Zukunftsaussichten wohl unternehmen? Sie würden alles daransetzen, um den Ausstoß von CO2 und anderen Treibhausgasen zu stoppen, und zwar sofort. Doch wir erleben das genaue Gegenteil, und dies besonders deutlich in Stuttgart: Allein der Bau der bei ‚Stuttgart 21‘ vorgesehenen Tunnelröhren von rund 60 Kilometer Länge setzt – sofern dieses Projekt jemals fertiggestellt wird – fast 2 Millionen Tonnen an Treibhausgas frei. Verantwortlich hierfür ist die Herstellung von Zement und Bewehrungsstahl für die Wände, Decken und Böden der S21-Tunnels.
Würde man dieses Vorhaben sofort beenden, könnte man das Schlimmste noch verhindern. Denn die Zugfahrten in den geplanten extrem engen Tunnels mit viel höherer Geschwindigkeit als auf den oberirdischen Gleisen heute würden wegen des stark erhöhten Luftwiderstandes den Treibhausgas-Ausstoß weiter in die Höhe treiben. Die schnelleren Züge in den schmalen Röhren würden nämlich auch mehr Strom als bei oberirdischer Fahrt benötigen, so dass die herkömmlichen Kraftwerke, die noch lange vorherrschen werden, um den Bahnstrom zu erzeugen, mehr CO2 und andere Treibhausgase freisetzen würden. weiterlesen →