Liebe Freundinnen und Freunde,
nein, ich werde ihn nicht vergessen, den 30.9.2010: Jenen schwarzen Tag, der damit begann, dass eine Schülerdemo für mehr Bildung und weniger Stuttgart 21 demonstrierte. Bis die Nachricht kam, dass starke Polizeieinheiten im Schlossgarten vorrückten. Die Jugendlichen eilten zum Park. Per Handy informiert, begab ich mich ebenfalls in den Schlossgarten und kam beim Versuch, meinen Sohn zu finden, wie viele andere in den Genuss einer Erlebnisdusche und der einschlägigen exotischen Duftsprays, Marke Mappus, Schlossgarten Extra.
Was sich im ZDF-Kommentar des damaligen Innenministers am gleichen Abend anhörte wie ein Wellnessprogramm, war in Wirklichkeit gar nicht lustig. Ins Gedächtnis unauslöschlich eingebrannt die Bilder: Kinder, die vor Wasserwerferstrahlen davonrennen, eine ältere Frau, die der Druck des Strahls buchstäblich durch die Luft schleudert, Polizeiketten, die eine Menschenmenge brutal zurückdrängen, so dass alle übereinander fallen, Bilder von Jungs und Mädels mit blutroten tränenden Augen, von in Gesichter gekippten Wasserflaschen, kaputten Regenschirmen, zerschossenen Brillen, blauen Flecken, triefenden Klamotten, Bilder von Kastanien, die, vom Wasserwerferstrahl von den Bäumen geschossen, wie Gewehrkugeln durch die Gegend rasen. Die Erinnerung an einen brachialen Wasserschwall, der mich umhaut, mir den Atem nimmt, eine Ozeanwelle – so muss es sein, wenn man ertrinkt. Abends im Fernsehen ein Minister, der von einer Art Sprühregen schwadroniert und von nicht angenommenen Deeskalationsteams und eine HEUTE-Moderatorin, die sagt: Das ist, als ob sie aus dem Krieg berichteten.
Auf immer eingebrannt die Gefühle: Erst Leere. Alle Gedanken und Empfindungen aus mir herausgepustet. Nichts spüren – auch nicht spüren wollen, es nicht glauben wollen. Das kann doch einfach nicht wahr sein. Ich träume – gleich wach ich auf. Kein Erwachen. Stattdessen Erstaunen. Das ist kein Film, auch kein falscher. Erst spät die Empörung, noch später die Wut. Und am Ende noch wochenlang dieser Kloß im Hals, der sich um nichts in der Welt hinunterschlucken lässt.
Der Schwarze Donnerstag war der dreisteste Vorstoß, eine mit redlichen Sachargumenten streitende Protestbewegung mundtot zu machen und zwar unter Inkaufnahme, dass Menschen in ihrer Gesundheit und Unversehrtheit irreparabel geschädigt wurden. Es war der unverfrorenste Versuch, eine intelligente, charismatische und friedliche Bürgerbewegung durch gezielte Provokation zu diskreditieren und zu Schmuddelkindern zu stempeln. Dass dies misslang, ist einzig den Bürgern und ihrem eisernen Willen zu verdanken, friedlich zu bleiben.
Dem allzu plumpen Ansinnen folgten verhohlenere Versuche mit der gleichen Absicht. Schon bei der sogenannten Schlichtung und danach bei der Stresstestshow wurden alle Register gezogen, um den Protest zum Erliegen zu bringen.
Die Sachebene, das war das Feld, auf dem die Betreiber von Anfang an verloren und rein gar nichts zu bieten hatten, deshalb musste die weg. Das gelang mit der Volksabstimmung: die nämlich beförderte die Auseinandersetzung um Stuttgart 21 endgültig in die Gewässer der Formaljuristik, und damit waren die Klippen der kritischen Sachargumente, die die Mission Impossible des dümmsten Großprojekts seit dem Turmbau zu Babel hätten stoppen können, weiterlesen →