In der aktuellen KONTEXTWOCHENZEITUNG ist am 8.4.2015 ein offener Brief von Steffen Siegel an Winfried Hermann erschienen. Als Vorsitzender der Schutzgemeinschaft Filder, kritisiert Steffen Siegel den grünen Verkehrsminister Winfried Hermann, der in seinem Kontext-Interview "Es gibt ein Leben mit und nach Stuttgart 21" den Filderkompromiss begründete. Siegel hält den Kompromiss für eine lächerliche Korrektur von etwas noch Schlechterem.
Lieber Winne Hermann, ich erinnere mich noch gern an die Zeiten vor 30 Jahren, als wir jung und voller Energie gemeinsam gegen die Startbahnverlängerung auf den Fildern kämpften. Und noch drei Wochen vor der letzten Landtagswahl im März 2011 hast Du uns bei einer Podiumsdiskussion der Schutzgemeinschaft Filder mit dem Bahnbeauftragten Fricke voll aus dem Herzen gesprochen und geendet mit der Aussage: "Wenn wir oben bleiben wollen, dann müssen wir ein paar andere runterholen."
Inzwischen hat die Harmonie zwischen uns gelitten. Ich gestehe Dir gerne zu, dass Du immer gegen S 21 warst. Nur, wie kommst Du mit der jetzigen Entwicklung als Mitverantwortlicher zurecht und wie kannst Du den Kompromiss zum dritten Gleis auf den Fildern so freudig verteidigen, nachdem er ja nichts ist als die jämmerliche Korrektur von etwas noch Schlechterem?
Zwar sagst Du im Kontext-Interview, S21 sei zu groß, zu teuer und zu riskant aber dies relativierst Du sofort wieder durch Deine Aussagen, seit der Volksabstimmung hättest Du "kein Mandat mehr, das Projekt grundsätzlich zu bekämpfen" und durch die Mehrheitsverhältnisse im Land seist Du jetzt nur noch in der "Pflicht, Kompromisse zu suchen, um noch mögliche Verbesserungen zu erreichen".
Die Grünen ducken sich vor der Wahrheit weg
Wir alle wissen, dass bei der Volksabstimmung bewusst mit falschen Zahlen gehandelt wurde. Es war damals schon klar, dass die versprochenen 4,5 Milliarden Euro niemals reichen würden. Ich will das Ergebnis der Volksabstimmung nicht schönreden, aber warum duckt Ihr Grünen Euch vor der Wahrheit weg? Im Prinzip sagst Du, ganz wie unser "Landesvater", dass in der Politik nicht die Wahrheit über die Lüge entscheidet, sondern die Mehrheiten über Minderheiten. Ich meine, für die Wahrheit darf man in wirklich existenziellen Dingen keine Abstriche machen.
Jeder Häuslesbauer, der in seinen Bauanträgen die Entscheidungsgremien belügt, muss mit drastischen Strafen, ja mit dem Abriss seines Hauses rechnen. Bei S21 geht es um ganz andere Größenordnungen und hier soll gelten, dass, wenn eine Lüge eine Mehrheit gefunden hat, daran nicht mehr zu rütteln ist? Da muss man doch alles daransetzen, die Lüge zu widerlegen, auch mit dem Risiko, politisch Schiffbruch zu erleiden. Wollt Ihr als Grüne wirklich für dieses S21-Desaster für alle Zeiten mit verantwortlich zeichnen? Hier geht es ja nicht um ein untergeordnetes Straßenbauprojekt.
Uns Kritikern wirft man vor: Was regt Ihr Euch auf, es geht doch nur um einen Bahnhof? Ja schon, aber es geht um viel mehr. Eine pulsierende Stadt wird mit über 60 Kilometer langen Tunnels untergraben. Ein hervorragend funktionierender Bahnhof wird durch einen leistungsschwächeren, unterirdischen, niemals erweiterungsfähigen Sarkophag ersetzt mit zu engen Bahnsteigen und einer kriminellen siebenfach überhöhten Gleisneigung.
Es geht auch um die Zerstörung einer gut funktionierenden Bahninfrastruktur, weiterlesen →